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Hassen, mitfühlen, mobilisieren

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Hassen, mitfühlen, mobilisieren

Empörung, Wut oder Solidarität – es sind solche Emotionen, die Menschen bewegen und zum Handeln motivieren. Das prägt auch das kommunikative Handeln in sozialen Medien. Wo Plattformen daran interessiert sind, ihre Nutzer*innen möglichst lange zu halten, spielen affektive Adressierungen eine zentrale Rolle. An die Stelle eher nüchtern gehaltener Nachrichten treten dann Informationen, die bewegen. Aber lässt sich tatsächlich so simpel unterscheiden zwischen Fakten und Gefühlen, zwischen ratio und emotio?

Die Bedeutung von Emotionen in öffentlicher Kommunikation heute

März 2022: „Feel the news – Was Deutschland bewegt“ – so betiteln Jule Lobo und Sascha Lobo ihren neu platzierten wöchentlichen Podcast, der „diese eine, größte emotionale Debatte des Landes“ in den Blick nimmt. Sie adressieren damit ganz explizit Emotionen als relevante Bausteine öffentlicher Kommunikation – und das in zweifacher Hinsicht: Einerseits werden hier Emotionen benannt als inhaltliche Dimension, die dazu beiträgt, dass Nachrichten Resonanz erzeugen, dass „Deutschland bewegt“ wird. Andererseits verweist der Titel auf eine spezifische Rezeptionsweise: Nachrichten werden hier nicht als Informationsangebot angepriesen, das nüchtern und besonnen genutzt werden sollte. „Feel the news“ benennt vielmehr pointiert jene affektive Adressierung des Publikums, die in hybriden Mediensystemen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Einladung an die Zuhörer*innen, durch eigene Sprachnachrichten zum Podcast beizutragen, greift diese affektive Adressierung auf und bindet sie in das Produkt ein. Die Lobos haben, so lässt sich bilanzieren, ein gutes Gefühl für den Bedeutungsgewinn von Emotionen in öffentlicher Kommunikation und wissen dies strategisch in ihre Vermarktung einzubinden. Exemplarisch steht dieses neue Nachrichtenangebot damit für das explizite Sichtbarmachen und Verstärken von Emotionen, das für zeitgenössische Formen digitaler Kommunikation charakteristisch ist. Dies erscheint umso auffälliger, da die normative Idee gelungener öffentlicher Kommunikation über lange Zeit das exakte Gegenteil zum Ideal erklärt hat.

Emotionen und Öffentlichkeit im prädigitalen Zeitalter: ein historischer Einblick

Bis heute markiert das von Jürgen Habermas (1962) [1] entworfene Konzept von Öffentlichkeit als herrschaftsfreie Form des rationalen Diskurses den Horizont, vor dem Abweichungen als Verlust oder gar Niedergang bewertet werden. Allein die Qualität des Arguments, so das Ideal, entscheide über seine Durchsetzungskraft. Doch formulierten Kritiker*innen (Benhabib 1992 [2] ; Fraser 1990 [3] ; Warner 2002 [4] ) vielstimmig Widerspruch und wandten ein, dass die systematische Ausgrenzung bspw. von Frauen und Schwarzen aus der dominanten Öffentlichkeit nicht mitberücksichtigt war. Die dichotome Unterscheidung von ratio und emotio – in der europäischen Aufklärung tief verankert – trägt, so die Essenz der Kritik, maßgeblich dazu bei, Ungleichheitsverhältnisse unsichtbar zu machen, denn nur jene, die sprachmächtig diesen Regeln folgen können und dürfen, sind Teil der Öffentlichkeit. Emotionsforscher*innen gehen stattdessen seit Langem davon aus, dass Sozialität schlechthin emotional grundiert ist. So hat Arlie Hochschild (Hochschild 1979 [5] , 1983 [6] ) mit Begriffen wie emotional labor und feeling rules überzeugend dargestellt, in welcher Weise das Hervorbringen von Emotionen als zentraler Bestandteil professionellen Handelns verstanden werden muss. Ute Frevert (2017) [7] hat am Gefühl der Demütigung in historischer Perspektive sichtbar gemacht, wie Emotionen in Herrschaftsformen eingebettet sind. Demütigungen können – insbesondere in ihren öffentlichen Formen – als maximale Ausübung von Herrschaft verstanden werden. So erscheint es problematisch und verkürzt, Formen der öffentlichen Kommunikation im vordigitalen Zeitalter als emotionsfrei, sich allein oder vorrangig des rationalen Diskurses bedienend zu verstehen. Vielmehr, so möchte ich einwenden, handelt es sich dabei zu weiten Teilen um eine strategische Rahmung, die dazu dient, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu erzeugen.

Die Verleugnung von Emotionen als Prämisse öffentlicher Autorität

So hat insbesondere der Nachrichtenjournalismus Formen herausgebildet, die Distanziertheit von Journalist*innen erzeugen, und damit seinen Status als Instanz objektiver Beobachtung etabliert. Das Unsichtbarmachen von Emotionen der Beobachtenden spielt dabei eine zentrale Rolle. Journalist*innen vermeiden es, ihre eigenen Gefühle explizit auszudrücken (Glück 2016 [8] ; Lünenborg/Medeiros 2021 [9] ) und lassen diese allenfalls in Zitaten von Zeug*innen zum Ausdruck kommen (Jorgensen 2018 [10] ). Nicht zuletzt genau damit wird die Autorität der Institution Journalismus beglaubigt. Zusammengefasst lässt sich sagen: Auch im prädigitalen Zeitalter spielten Emotionen in der öffentlichen Kommunikation eine Rolle. Der Markt der Boulevardmedien basierte maßgeblich auf dieser Währung. Jedoch waren in Abgrenzung dazu konsequente Formen der Emotionsregulation und -kontrolle etabliert, die wesentliche Bereiche von Öffentlichkeit als ausschließlich (oder vornehmlich) rational fundiert erscheinen ließen. In welchem Ausmaß die Verleugnung von Emotionen Prämisse öffentlicher Autorität ist, ließ sich jüngst in negativer Umkehr beim Rücktritt der Familienministerin Anne Spiegel beobachten. Ihr expressives Ausstellen von Emotionen im Zusammenhang mit familiären Belastungen wurde öffentlich als Überforderung wahrgenommen und entsprechend sanktioniert.

Mit dem digitalen Wandel ändern sich die Rahmenbedingungen

Erwies es sich also über lange Zeit als ein zentrales Instrument zur Etablierung von Autorität, Emotionen im öffentlichen Raum zu kontrollieren und in hohem Maße unsichtbar zu machen, so haben sich die Rahmenbedingungen in hybriden Mediensystemen nachhaltig verändert. Im Zusammenspiel von traditionellen Medienangeboten (Presse, Hörfunk, Fernsehen) und digitalen Netzwerkmedien sind an die Stelle kollektiver Formen der Emotionskontrolle vielfältige Formen der Affektintensivierung getreten. Emotionen und Affekte sind in sozialen Medien allgegenwärtig: So kommen Hass, Aggression oder Wut in Online-Kommentaren zum Ausdruck und fordern Social-Media-Teams heraus, einen angemessenen Umgang mit diesen Äußerungen zu finden. Bei der kreativen und oftmals subversiven Aneignung von Bildern und Videos durch User entstehen Memes, die als ironisch oder satirisch gelesen werden können und dabei Häme oder Freude auslösen. Begeisterung und Zustimmung drückt sich im vielfachen Teilen von Informationen über soziale Medien aus. So entstehen Wellen von Solidarität, Mitgefühl und Empathie in digitalen Netzwerken – oftmals grenzüberschreitend. Mit Bezeichnungen wie „Shitstorm“, „Candystorm“ oder „Empörungskaskaden“ haben sich Begriffe etabliert, die die Dynamik von Emotionen in sozialen Medien beschreiben.

In digitalen Medienumgebungen gewinnen Affekte an Bedeutung

Während Emotionen kulturell etablierte Phänomene bezeichnen, die zeitlich begrenzt in konkreten Situationen in Erscheinung treten, umfasst der Begriff des Affekts latente, dauerhafte, fluide Intensitäten zwischen Körpern – humanen wie non-humanen. Mit einem solchen weiten Verständnis von Körpern werden auch Artefakte und Technologien eingeschlossen, also mit Screens oder wearable technologies eine Vielzahl von Objekten, die für digitale Kommunikation eine zentrale Rolle spielen.

Mit dem turn to affect (Clough/Halley 2007 [11] ; Lünenborg/Maier 2018 [12] ) in kultur- wie sozialwissenschaftlicher Forschung hat sich auch die Analyse von Medien und deren Nutzung auf Fragestellungen jenseits des Repräsentationalen erweitert. Gemeint ist damit, dass Medien nicht allein auf der Ebene von Aussagen und Diskursen Bedeutung erzeugen, sondern auch unmittelbar – eben affektiv – Spannung und Erregung, Unlust oder Beruhigung vermitteln. So lassen sich Affekte als Rohmaterial von Emotionen betrachten. Sie sind dynamisch und relational, also fortwährend reaktiv mit Blick auf andere Köper und Umgebungen. Das Vermögen zu affizieren und affiziert zu werden, also selbst Affekte auszudrücken und in der Lage zu sein, bei anderen (menschlichen) Körpern Affekte zu erzeugen, ist essenziell für (humane) Körper. Dieses Potenzial des Affektiven gewinnt in digitalen Medienumgebungen beträchtlich an Bedeutung.

Konventionen der Regulation von Emotionen durch etablierte Mediengattungen, wie bspw. Nachrichten, werden hier außer Kraft gesetzt. Stattdessen ermöglichen digitale Plattformen den spontanen, unmittelbaren Gefühlsausdruck von Freude und Begeisterung ebenso wie die strategisch entwickelte Artikulation von Stolz, die Neid, Beschämung oder Unbehagen anderer Nutzer*innen erzeugt. Massenhafter Hass, Beleidigung und Empörung stellen ein Problem für öffentliche Kommunikation dar. Die Entgrenzung zwischen Individual- und Massenkommunikation, die für soziale Medien charakteristisch ist, erzeugt emotionstheoretisch Kontingenz, Widersprüchlichkeit und Unsicherheit. Ein fehlendes Emoji zur Kennzeichnung von Ironie kann Empörungswellen auslösen. Hier treffen intime Nähe und komplexe Öffentlichkeit unmittelbar aufeinander.

Das Konzept der affektiven Medienpraktiken

Wir können das Handeln mit und in sozialen Medien selbst als zutiefst affektive Praxis verstehen. Jede Push-Nachricht, jedes Like, jeder Kommentar stellt – unabhängig von seinem Inhalt – einen Reiz dar, erzeugt Spannung, auf die möglichst unmittelbar zu reagieren, wir längst gewohnt sind. Mit dem Konzept der affektiven Medienpraktiken (Lünenborg/Maier 2019 [13] ) lassen sich Formen des Teilens, Likens und Kommentierens beschreiben, aber auch Formen des Trolling oder Flaming – also negativ geladene Kommentierungen, die gezielt provozieren und verletzen. So irritieren affektive Medienpraktiken von Usern jene tradierten Selektions- und Distributionslogiken, die den Journalismus historisch mit Autorität versehen haben. Weitergehend umfassen affektive Medienpraktiken den affektiven Gehalt von Kommunikationsprozessen in und mit sozialen Medien. In Verbindung sein, Verbindungen herstellen sowie aus relevanten Verbindungen auszuschließen oder ausgeschlossen zu sein – also das Herstellen und Aufrechterhalten von Sozialität mittels digitaler Plattformen – basiert auf fortlaufender affektiver Arbeit aller Beteiligten (van Dijck 2013 [14] ).

Interessant sind dabei einerseits die spezifischen technologischen Angebote, mit denen Plattformen die Erzeugung von Affekten präfigurieren (z. B. der Like-Button) – die Ausdrucksformen von Emotionen also, die sich in sozialen Medien etabliert haben und von dort aus Eingang in andere private und öffentliche Kommunikationsformen genommen haben (wie Emojis oder Memes). Andererseits ist die Kontrolle und Regulation von Emotionen bedeutsam, die von Usern in Interaktion ebenso geleistet werden muss wie von Community-Manager*innen, Plattformbetreiber*innen oder der Rechtsprechung.

Affektive Adressierungen auf digitalen Plattformen und was es für einen kompetenten Umgang braucht

Diese emotionale Bindung lässt sich als stetige Interaktionsschleife zwischen Nutzer*in und Medium beschreiben. Boler und Davis schlagen dafür den Begriff des affective feedback loop vor – ein emotionaler und affektiver Kreislauf zwischen Mensch und Information in technologischen Umgebungen (Boler/Davis 2018, S. 83 [15] ). Sie begreifen diesen Kreislauf als grundsätzlich unabgeschlossene Wiederholung von affektiver Äußerung und Reaktion – entweder in Form einer positiven Verstärkung als Belohnung oder einer negativen Reaktion und Unzufriedenheit, die dann wiederum neue affektive Impulse erzeugt. Sie entwerfen ihr Konzept vor dem Hintergrund der polarisierten politischen Öffentlichkeit in den USA nach dem Amtsantritt von Donald Trump. Doch die beschriebene Dynamik lässt sich auch auf andere Diskurse übertragen: Die algorithmisch formierte Struktur der Plattform bezweckt eine möglichst lange Verweildauer und eine entsprechend zielgenaue, affektive Adressierung der Nutzer*innen. So wird deutlich, dass die ökonomisch getriebene Architektur digitaler Plattformen auf eine stete Affektlenkung sowie die Steuerung der Intensität und Dauer von Affekten aus ist. Intensiver, länger, mehr – darauf zielen Plattformen ab und folgen damit einer kapitalistischen Logik, die im Netz ihre eigene Dynamik entwickelt.

Für einen souveränen Umgang mit diesen Affordanzen ist ein beträchtliches Maß an Kompetenz gefragt: Wissen um die Entstehungsbedingungen und Marktlogiken der Angebote, Selbstreflexivität gegenüber dem eigenen Nutzungsverhalten, Skepsis gegenüber zweifelhaften Quellen und Kenntnis der grundlegenden Geschäftsmodelle.

Literatur

  1. Habermas, Jürgen (1962). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.
  2. Benhabib, Seyla (1992). Models of Public Space: Hannah Arendt, the Liberal Tradition, and Jürgen Habermas. In: Calhoun, Craig (Hrsg.), Habermas and the Public Sphere. MIT Press, S. 73–98.
  3. Fraser, Nancy (1990). Rethinking the Public Sphere: A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy. In: Social Text, 25/26, S. 56–80. doi:10.2307/466240
  4. Warner, Michael (2002). Publics and Counterpublics. In: Public Culture, 14(1), S. 49–90. doi: 10.1215/08992363-14-1-49
  5. Hochschild, Arlie R. (1979). Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structure. In: American Journal of Sociology, 85(3), S. 551–575. doi:10.1086/227049
  6. Hochschild, Arlie R. (1983). Managed Heart: Commercialization of Human Feeling.1. Auflage. Oakland: University of California Press.
  7. Frevert, Ute (2017). Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht. Frankfurt: S. Fischer.
  8. Glück, Antje (2016). What Makes a Good Journalist? Empathy as a central resource in journalistic work practice. In: Journalism Studies, 17(7), S. 893–903. doi:10.1080/1461670X.2016.1175315
  9. Lünenborg, Margreth/Medeiros, Débora (2021). Journalism as an Affective Institution. Emotional Labor and the Discourse on Fraud at Der Spiegel. In: Journalism Studies, 22(12), S. 1720–1738. doi:10.1080/1461670X.2021.1873820
  10. Wahl-Jorgensen, Karin (2018). Toward a Typology of Mediated Anger: Routine Coverage of Protest and Political Emotion. In: International Journal of Communication, 12, S. 2071–2087.
  11. Clough, Patricia T./Halley, Jean (2007). The Affective Turn. Theorizing the Social. Durham, London: Duke University Press.
  12. Lünenborg, Margreth/Maier, Tanja (2018). The Turn to Affect and Emotion in Media Studies. In: Media and Communication, 6(3), S. 1-4. doi:10.17645/mac.v6i3.1732
  13. Lünenborg, Margreth/Maier, Tanja (2019). Analyzing Affective Media Practices by the Use of Video Analysis. In: A. Kahl (Hrsg.), Analyzing Affective Societies. Methods and Methodologies. New York: Routledge, S. 140–161.
  14. Van Dijck, José (2013). The Culture of Connectivity. A Critical History of Social Media. New York: Oxford University Press.
  15. Boler, Megan/Davis, Elizabeth (2018). The Affective Politics of the „Post-Truth“ Era: Feeling Rules and Networked Subjectivity. In: Emotion, Space and Society, 27, S. 75–85. doi:10.1016/j.emospa.2018.03.002

Zitation

Lünenborg, M. 2022: Hassen, mitfühlen, mobilisieren. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/emotionen/kommunikation-medien/

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