Postdigital bedingte Souveränität – Zum Wandel von Handlungsmächtigkeit aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
Kurzbeschreibung
Die Autor*innen befassen sich mit der Frage, wie Souveränität in algorithmisierten Gesellschaften aussehen kann. Einen zentralen Ausgangspunkt bildet dabei die Annahme, dass ein Subjekt in die und mit der algorithmisierten Ordnung verstrickt ist. Souveränität im postdigitalen Zustand wird als kollaborative Praxis der Verhandlung verstanden. Mit diesem Verständnis von Souveränität hängen auch Überlegungen zusammen, welche Auswirkungen das für Medienkompetenzmodelle hat. Inwiefern sollten diese beispielsweise konzeptionell erweitert werden? Abseits eines starken und souveränen Individuums steht die Frage im Raum: Was sind digitalisierungsbezogene Kompetenzen im post-digitalen Zustand? Die Autor*innen stellen fest, dass Kompetenzen nicht neu beschrieben, jedoch an ihren Bezugsraum angepasst werden müssen. Als Orientierung für diese Veränderungen sehen sie Kerres' vier Felder von Kompetenz als hilfreich an: "1) Information und Wissen (einer Kultur) und der Zugang dazu (Wissensvernetzung), 2) digitale Wirklichkeit und produktives (selbstständiges) Handeln mit Bezug zur Lebens-und Arbeitswelt (Eigenverantwortung und lebensweltliche Anwendung), 3) Kommunikation und Kooperation als Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs (und in Lerngemeinschaften) sowie 4) ein integrierendes Feld aus Orientierung, Entwicklung, eigener Identität und Persönlichkeit durch ein Sich-in-Beziehung-Setzen zu sich, zu anderen und zur Welt" (S. 17). Als für die Medienpädagogik hilfreich werden vor allem solche Kompetenzmodelle beschrieben, in deren Zentrum kollaborative Praktiken stehen.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
In digitalen Räumen verschwimmen Grenzen unterschiedlicher Rollen. So merken die Autor*innen etwa an, dass "in den Social Media Arenen [...] das User*innen-Subjekt content [liefert] und [...] der content" ist. Außerdem ist Handlungsmächtigkeit in einer Kultur der Digitalität immer eine verteilte Handlungsmächtigkeit. Sie ist ein Effekt verschiedener Akteur*innen. Nicht einzelne Personen sind handlungsmächtig. Vielmehr ergibt sich Handlungsmacht aus spezifischen Verbindungen. Diese verteilte Handlungsmächtigkeit hat auch Konsequenzen für kompetentes Handeln, welches dadurch durch "Phasen der Ungewissheit" (S. 15) gekennzeichnet ist. Durch die Digitalisierung verändert sich auch der Bezugsraum, auf den sich die Kompetenzen beziehen. Dementsprechend müssen bisherige Konzeptualisierungen adaptiert werden.
Kompetenzanforderungen
Die Verstricktheit in und mit der algorithmisierten Gesellschaft fordert von medienkompetentem Handeln den Umgang mit Ungewissheit. Medienhandeln ist eingebettet in ein Angewiesensein auf Technik, Algorithmen und Follwer*innen. Es entsteht ein Nebeneinander von Handlungsmächtigkeit und Ohnmächtigkeit als auch von Gewissheit und Ungewissheit.
Kompetenzdimensionen
Kognitive Dimension: Information und Wissen (einer Kultur) und der Zugang dazu; grundlegendes informatisches Verständnis.
Kreative Dimension: digitale Wirklichkeit und produktives (selbstständiges) Handeln mit Bezug zur Lebens- und Arbeitswelt; kreatives Problemlösen unter anderem durch das Restrukturieren und Manipulieren von Daten.
Soziale Dimension: sozial-kooperative Kompetenzen; Kommunikation und Kooperation als Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs und in Lerngemeinschaften.
Kritisch-reflexive Dimension: Fähigkeiten zum kritischen und algorithmischen Denken; (macht-)kritische Positionierung; Feld aus Orientierung, Entwicklung, eigener Identität und Persönlichkeit durch ein Sich-in-Beziehung-Setzen zu sich, zu anderen und zur Welt.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Während in früheren Definitionsversuchen von Kompetenz vor allem Aspekte der Mündigkeit sowie der effektiven Interaktion einer Person mit ihrer Umwelt betont wurden, wurde später verstärkt vom agierenden Subjekt aus argumentiert. Mit Blick auf die Basis von Kompetenzverständnissen stellen die Autor*innen fest, dass kompetenzorientierte Theorien nach wie vor häufig auf die Vorstellung eines starken und souveränen Individuums aufbauen. Dieses Bild von Souveränität verwerfen die Autor*innen jedoch vor dem Hintergrund algorithmisierter Gesellschaften und stellen die Frage, was digitalisierungsbezogene Kompetenzen im postdigitalen Zustand sind. Bestehende Kompetenzverständnisse entwickeln sie zu einem Verständnis postdigitalisierungsbezogener Kompetenz weiter. Dieses schließt an Computational Thinking an und umfasst sowohl ein informatisches Verständnis als auch Fähigkeiten zu kreativem Problemlösen, zum kritischen und algorithmischen Denken und sozial-kooperative Fähigkeiten. Kompetenz wird damit nicht vorrangig im Subjekt verortet, sondern bezieht auch die Verbindung zu weiteren Beteiligten und Wirkfaktoren ein. Damit wird sie als "etwas Gemeinschaftliches in Vernetzung und ständiger Interaktion mit Menschen und Technologien" (S. 18) konzipiert. Kompetenzfacetten werden im kollaborativen Handeln sichtbar.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Die Autor*innen beschäftigen sich mit dem Wandel digitaler Medien und welche Konsequenzen dieser für notwenige Kompetenzen hat.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Für die Erfassung von Kompetenz im zuvor geschilderten Verständnis bieten sich Ansätze, wie beispielsweise die Gesprächs- oder Argumentationsanalyse an.
Quellenangabe
Engel, J., Mayweg, E., & Carnap, A. (2022). Postdigital bedingte Souveränität. Zum Wandel von Handlungsmächtigkeit aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive. merz | medien + erziehung, 66(6), 13-24.