‹Ich machʼ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt› – Medien- und Technikgestaltung als Artikulation
Kurzbeschreibung
Wodurch werden Menschen gesellschaftlich handlungsfähig? Eine Voraussetzung dafür ist, kommunizieren zu können. Menschen können im Zuge des digitalen Wandels nicht nur in und mit Medien kommunizieren. Sie können sich auch artikulieren, indem sie Technik gestalten. Diese Gestaltung als eine Artikulationsmöglichkeit steht im Zentrum des vorliegenden Artikels. Der erste Teil des Beitrags widmet sich der Frage, welcher neuen Artikulationsformen sich Lehramtsstudierende überhaupt bedienen. Da neue Artikulationsmöglichkeiten aber auch neue Fähigkeiten erfordern, steht im Zentrum des zweiten Teils die Frage: Wie lässt sich technisches Gestalten pädagogisch fördern? Als besonders geeignet dafür erscheinen handlungsorientierte Ansätze, wie zum Beispiel Tinkering, Coding, Making oder Hacking.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Der digitale Wandel ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass es nicht länger sinnvoll erscheint, zwischen analogen und digitalen Wirklichkeiten zu unterscheiden. Alle Gesellschaftsbereiche sind heutzutage von digitaltechnischen Entwicklungen geprägt. Neue Medien bringen dabei stets neue Möglichkeiten mit sich, mit anderen zu kommunizieren und an der Gesellschaft teilzuhaben. Es ist etwa heute selbstverständlich, digitale Medien zu gestalten. Entsprechend finden Kommunikation und Partizipation zunehmend über die Rezeption und Gestaltung digitaler Artefakte statt. Das bedeutet auch, dass jede Person neue Kulturräume schaffen, beeinflussen und verändern kann.
Kompetenzanforderungen
Menschen müssen nicht mehr nur versiert und selbstbestimmt mit Medien umgehen können, sie müssen es auch verstehen, reflektiert mit digitaler Technik umzugehen.
Kompetenzdimensionen
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Digitale Medien selbstbestimmt nutzen.
Kognitive Dimension: Digitaltechnische Strukturen, Prinzipien und Funktionsweisen kennen und verstehen.
Kreative Dimension: Mediale und technische Entwicklungen aktiv mitgestalten.
Kritisch-reflexive Dimension: Mediale und technische Entwicklungen kritisch-analytisch hinterfragen und reflektieren; veränderte gesellschaftliche Rollen und Dynamiken gesellschaftlicher Entwicklungen betrachten, die mit dem digitalen Wandel einhergehen.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Das klassische Ziel der Medienpädagogik ist es, Medienkompetenz - und damit übergeordnet gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zu fördern. Dieser Anspruch ist, trotz verschiedener Definitionen und Weiterentwicklungen, weitgehend unangetastet geblieben. Angesichts postdigitaler Gesellschaften ist es notwendig, sowohl über medien- als auch digitaltechnikbezogene Kompetenzen zu verfügen.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Die Interviews fanden bewusst an dem Ort statt, an dem die Befragten ihre digitalen Artefakte hergestellt hatten. Das war ein Makerspace an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Für die Interviews ausgewählt wurden vor allem Lehramtsstudierende, die sich sehr interessiert an der Arbeit im Makerspace zeigten. Makerspaces sind geeignet, damit Kompetenzträger*innen ihre Fähigkeiten ausbauen können. Um alle Menschen zu erreichen, ist die Schule ein guter Ausgangspunkt. Allerdings ist die Einrichtung von Makerspaces von vielfältigen Bedingungen abhängig, darunter personelle, finanzielle und räumliche Ressourcen, aber auch inhaltliche Schwerpunkte weiterführender Schulen (beispielsweise naturwissenschaftlich ausgerichtete Schulen gegenüber musisch-künstlerischen). Hinzu kommt das Interesse und die Aufgeschlossenheit des Lehrpersonals, das entscheidenden Einfluss nehmen kann.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Qualitative Zugänge sind besonders geeignet, um Handlungen zu analysieren, die sich aus einer Interaktion mit digitalen Medien ergeben. Jedoch gilt es dabei zu beachten, dass zum einen aus Interviews gewonnene Daten immer subjektive Interpretationen sind. Das heißt, sie können nur einen Teil einer bestimmten Wirklichkeit wiedergeben. Zum anderen kann soziale Erwünschtheit zu Antwortverzerrungen führen.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Um sich Medien und Technik zu erschließen, bietet sich Ausprobieren an. Bei den Studierenden und ihren Making-Projekten sind oft die Analyse und Reflexion der Möglichkeiten verschiedener Tools die Basis für Gestaltungsideen oder konkret die Erstellung eigener digitaler Artefakte. Digitale Artefakte entstehen also in einem Wechselverhältnis zwischen eigenen Ideen und den Rahmenbedingungen der digitalen Technik. Für viele Befragte ist es zudem wichtig, des Verhältnis zwischen Subjekt und Umwelt zu reflektieren. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass sie die gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Aspekte ihrer Making-Projekte bedenken. Häufig sind aktuelle Geschehnisse in der Gesellschaft oder der eigenen Lebenswelt Ausgangspunkt für ihre Projektideen. Die Studierenden geben desweiteren an, dass sie durch das Making für sich selbst wichtige Fähigkeiten erworben haben. Die Art und Intensität der subjektiven Auseinandersetzung variiert jedoch nach Erfahrung. In Making-Kontexten weniger erfahrene Studierende nähern sich der digitalen Technik eher als Nutzende. Sie lernen zwar Möglichkeiten der Werkzeuge und Werkstoffe kennen, reflektieren diese aber kaum bis gar nicht. Demgegenüber werden technikaffinere und erfahrenere Studierende eher gestaltend aktiv mit digitalen Technologien. Das führt auch dazu, dass sie Gestaltungsentscheidungen anderer kritischer hinterfragen. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Annäherung an Technik zwar mit der Nutzung beginnt, dabei allerdings nicht stehenbleiben sollte. Nutzung ist vielmehr eine Voraussetzung für kritisch-reflexive und gestalterische Artikulationsformen. Bisher haben aber nur wenige Studierende die intrinsische Motivation aufgebracht, über die Nutzung hinauszugehen.
Quellenangabe
Knaus, T., & Schmidt, J. (2023). ‹Ich machʼ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt›. MedienPädagogik, 56, 1–36. https://doi.org/10.21240/mpaed/56/2023.12.01.X
Sonstige Anmerkungen
Neue Artikulationsmöglichkeiten erfordern ebenfalls neue Fähigkeiten. Diese entstehen aber nicht allein aus der Nutzung. Um neue Fähigkeiten zu erlernen bedarf es entweder einer starken intrinsischen Motivation oder pädagogischer Angebote. Solche Angebote sollten für alle Menschen zugänglich sein. Damit steht die Schule in einer besonderen Verantwortung. Um Artikulationsformen zu fördern, sind vor allem pädagogische Ansätze wie Tinkering, Coding, Making und Hacking sinnvoll.