Medienkompetenz und Medienperformanz im Kontext der Social Web-Nutzung zehn bis 18-Jähriger Kinder und Jugendlicher
Kurzbeschreibung
Die hier zusammengefassten Ergebnisse sind ein Ausschnitt eines Buches zum Thema Medienhandeln. Darin werden die Begriffe Performanz, Kompetenz und Literacy im Umgang mit Medien zunächst ausführlich theoretisch eingeordnet. Die darauf aufbauende Studie untersucht, wie junge Menschen mit dem Social Web umgehen. Worin zeigt sich die Medienperformanz Heranwachsender? Inwiefern lassen sich darüber Rückschlüsse auf deren Medienkompetenz ziehen? Und was beeinflusst, inwiefern Heranwachsende ihre Kompetenz anwenden? Um diese Fragen zu beantworten, werden mehrere Erhebungsmethoden kombiniert - ein Online-Fragebogen, die Methode des lauten Denkens, teilnehmende Beobachtungen und Leitfadeninterviews. Einbezogen werden Kinder ab zehn Jahren, da sich ab diesem Alter ein Interesse für Social Network Sites entwickelt. Social Network Sites sind bei Heranwachsenden beliebt, da mit ihnen entwicklungsspezifische Bedürfnisse erfüllt werden können, etwa nach Vernetzung, Kommunikation, der Pflege von Beziehungen, Selbstrepräsentation und Identitätsmanagement.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Das Internet und das Social Web sind heutzutage weit verbreitet und ein fester Bestandteil im Leben von Kindern und Jugendlichen. Mobile Endgeräte verbreiten sich zunehmend. Ein Großteil der Jugendlichen ab zwölf Jahren ist beinahe täglich online. Auch Jüngere zwischen null und acht Jahren machen immer früher erste Erfahrungen mit dem Internet.
Kompetenzanforderungen
Der Fokus der Studie liegt auf dem Umgang mit Privatsphäreeinstellungen im Social Web und dem Recherchieren im Internet. Zudem betrachtet die Autorin, inwiefern Kinder und Jugendliche produktiv etwas im Social Web gestalten und sich dort aktiv einbringen - auch wenn dies Heranwachsende verhältnismäßig weniger machen.
Kompetenzdimensionen
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Lesezeichen in einem Internetbrowser anlegen; Verlauf löschen können, zum Beispiel die Chronik einer Suchanfrage oder den Browserverlauf; unerwünschte Personen blockieren können; einen Computer daran hindern können, automatisch online zu gehen; Verhalten bei technischen Problemen; Privatsphäreeinstellungen des SNS-Profils verändern; Datenrecherche; Sicherheit im Umgang mit kommunikativen Settings; Medien für eigene Belange nutzen können; Medien für die Artikulation eigener Anliegen nutzen.
Kognitive Dimension: Wissen über rechtliche Grundlagen wie Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und AGBs von Social Network Sites; im Internet recherchieren; sich digital informieren.
Affektive Dimension: Verhalten, wenn man mit einem Problem am Computer oder im Internet konfrontiert ist, bei dem man sich nicht auskennt.
Kreative Dimension: Medien für die Artikulation eigener Anliegen nutzen; Handeln sowohl mit als auch in Bezug auf Medien als Informationsvermittler und als Chance zu Ausdrucksgestaltung.
Soziale Dimension: Unerwünschte Personen blockieren können; sich sozial, gesellschaftlich oder politisch aktiv über Medien engagieren, zum Beispiel Leserbriefe schreiben, sich an Radio- und Fernsehsendungen beteiligen, Online-Petitionen unterschreiben, die eigene Meinung hinsichtlich sozialer, gesellschaftlicher oder politischer Themen im Internet veröffentlichen oder bei Community Medien mitarbeiten; digital kommunizieren und kooperieren.
Kritisch-reflexive Dimension: Verantwortlich und kritisch mit Daten umgehen; Privatsphäre schützen; Fähigkeit zur Selbstreflexion; ethischer Umgang mit Medien, etwa Grenzen erkennen und verantwortlich mit neuen Möglichkeiten und Herausforderungen umgehen können; Medienangebote und -systeme unter ästhetischen und moralischen Gesichtspunkten beurteilen; auswählen wann, wie und wem man Informationen mitteilen darf; vorgegebene Websites beurteilen; das Internet einschätzen, zum Beispiel die Langlebigkeit oder Glaubwürdigkeit von Informationen.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Medienkompetenz wird als "Katalog von Fähigkeiten und Fertigkeiten" (S. 310) definiert. Die Inhalte dieses Katalogs unterscheiden sich in verschiedenen wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskursen. Der Fokus in wissenschaftlichen Diskursen zu Medienkompetenz hat sich verschoben. Früher stand vor allem die Definition von Medienkompetenz und ihren Dimensionen im Zentrum. Heute geht es eher darum, wie sich Medienkompetenz und digitale Kompetenz vermitteln lassen. Medienpsychologie und -soziologie widmen sich eher der Frage, wie sich einzelne Teile von Medienkompetenz messen lassen, zum Beispiel Medienkritikfähigkeit.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Medienhandeln ist immer in verschiedene Kontexte eingebunden, zum Beispiel das soziale Umfeld, Gewohnheiten oder indivduelle Merkmale wie das Alter. Jugendliche bewältigen Entwicklungsaufgaben und erwerben medienspezifische Fähigkeiten. Medienhandeln und die in Folge erworbenen Kompetenzen werden auch durch Sozialisationsprozesse geprägt. Solche Kontexte sind bedeutsam dafür, inwiefern Social Network Sites für Kinder und Jugendliche eine Rolle spielen. Die Autorin kritisiert, dass Kontexte - zum Beispiel die Medienerziehung - in Diskursen um Kompetenz wenig berücksichtigt werden. In diese Studie wurden verschiedene Lebenskontexte einbezogen, darunter Merkmale der Individuen sowie das soziale und familiäre Umfeld, beispielsweise Freund*innen, die Wohnsituation, Routinen in der Familie oder die eigenen Lebensziele. Ein weiterer Fokus liegt auf Einstellungen und Normen: Welche Normen haben die Befragten verinnerlicht? Welche Einstellungen haben sie zu Medien, Medieninhalten und Medienerziehung? Ziel der quantitativen Studie war es, eine möglichst heterogene Gruppe 10- bis 30-Jähriger zu erreichen. In der Stichprobe sind allerdings Menschen mit höherer Bildung und 12-15-jährige Befragte tendenziell überrepräsentiert. Auch haben mehr junge Frauen als Männer an der Befragung teilgenommen. Als soziodemografische Daten wurden das Alter, das Geschlecht, die Größe des Wohnortes, die Wohnregion und das Herkunftsland der Eltern erfasst. Das Sample der qualitative Studie mit 11- bis 19-Jährigen war an folgenden Auswahlkriterien orientiert: Neben soziodemografischen Daten sollten die Einschätzung eigener Fähig- und Fertigkeiten, Handlungsstrategien mit Social Network Sites sowie die Intensität der Internetnutzung unterschiedlich ausfallen. Es wurden also sowohl Jugendliche einbezogen, die sich im Umgang mit Medien sicher fühlen, als auch solche, die darin weniger geübt sind.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Medienkompetenz lässt sich auf verschiedene Arten erfassen. Eine Option ist zu erheben, inwiefern Menschen Regeln bei der Bewertung von Medieninhalten sicher handhaben. Bei diesem Vorgehen stellt sich allerdings die Frage, ob damit wirklich ein Teil von Medienkompetenz gemessen wird. Oder wird dadurch eher erhoben, inwiefern Befragte Normen zum Medienumgang verinnerlicht haben und diese in Testsituationen anwenden? Dieselbe Frage trifft auch auf Forschungszugänge zu, die sich Medienkompetenz über Einstellungen zu Medien oder die Selbsteinschätzung von Fähigkeiten nähern. Eine weitere Herausforderung liegt darin, wie Fähigkeiten, Fertigkeiten und Handlungsstrategien beurteilt und verglichen werden können. Denn sie werden sowohl von individuellen als auch sozialen Faktoren gerahmt. Diese gilt es bei der Beurteilung zu berücksichtigen. In der vorliegenden Studie wurde eine Kombination quantitativer und qualitativer Zugänge gewählt. Qualitative Ansätze bieten sich vor allen an, um Prozesse der Medienaneignung zu untersuchen. Denn diese sind nicht objektiv erfassbar. Um das Risiko von Verzerrungen zu vermindern, tauschten sich die Projektmitarbeitenden regeläßig aus.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Die befragten 10- bis 30-Jährigen schätzen ihr Wissen über das Internet hoch ein. Dabei bewerten Jungen und junge Männer ihr Wissen besser als Mädchen und junge Frauen. Jungen und junge Männer stellen sich im Umgang mit dem Internet auch als selbstsicherer dar. Jedoch verfügt ein Großteil der männlichen Befragten nicht über bessere technische Kenntnisse und Fertigkeiten als Mädchen und junge Frauen. Vor allem diejenigen schreiben sich viel Wissen über das Internet zu, die das Netz häufig nutzen. Die qualitative Studie ergibt, dass vor allem die formale Bildung einen Unterschied macht. Das Internet wird überwiegend positiv bewertet, den Befragten ist jedoch bewusst, dass es auch Risiken mit sich bringt. 82 Prozent der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen haben jedoch das Gefühl, dass sie sich gegen potenzielle Gefahren schützen können. Gefragt nach ihren technischen Fertigkeiten zeigt sich eine Mehrheit der Befragten gut informiert. So wissen beispielsweise 70 Prozent der befragten 10- bis 30-Jährigen, dass die Veröffentlichung eines Fotos im Internet voraussetzt, dass abgebildete Personen der Veröffentlichung zugestimmt haben. Heranwachsende unter 13 Jahren sind eher überzeugt, dass sich ein aus dem Internet gelöschtes Foto nicht mehr wiederfinden lässt. Ältere Heranwachsende sind in diesem Punkt skeptischer. Informationen aus dem Internet betrachten die Befragten mehrheitlich kritisch und gehen davon aus, dass nicht alles stimmt, was im Internet veröffentlicht wird. In dieser Einschätzung unterscheiden sich vor allem Personen verschiedenen Alters und unterschiedlicher formaler Bildung. Beim Umgang mit dem Internet ist ein Großteil der Befragten unsicher darin, die Chronik eines Internetaufenthalts zu löschen. Eine Mehrheit kann aber andere Personen blockieren und Lesezeichen im Browser anlegen. Grundsätzlich schätzen Befragte ihre technischen Fähigkeiten besser ein, wenn sie das Internet häufiger nutzen. Wie Befragte mit technischen Problemen umgehen, unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern und zwischen Wenig- und Intensivnutzenden. Mädchen und junge Frauen tendieren eher dazu, andere zu fragen, während Jungen und junge Männer eher in Foren recherchieren oder selbst tüfteln. Während eine Mehrheit der Befragten Namen und Geburtstag für alle sichtbar in Social Network Sites einstellt, gehen viele mit der Angabe des Wohnorts sowie der Telefonnumer vorsichtiger um. 17 Prozent der Befragten wissen nicht, wie sich differenzierte Privatsphäreeinstellungen vornehmen lassen. Die qualitative Studie verweist zudem auf die Bedeutung der Mediensozialisation für Medienperformanz. Auf Basis der empirischen Befunde werden fünf typische Formen des Medienhandelns junger Menschen beschrieben. Diese Gruppen unterscheiden sich in ihrem allgemeinen und medialen Habitus sowie ihrer Medienperformanz. "Angepasste" erweisen sich in ihrem Umgang mit der Technik als unsicherer als man es ihren Schilderungen zufolge erwarten würde. Oft können sie ihr theoretisches Wissen nicht in die Praxis umsetzen. "Intuitive Techniker*innen" haben sich teilweise hohes technisches Können angeeignet. Sie tun sich allerdings schwer, sobald mehr als intuitives Handeln gefordert ist. "Expert*innen" verfügen sowohl über technische Fertigkeiten als auch über ein fundiertes Wissen zu Medien und insbesondere dem Internet. "Unsichere" verfügen demgegenüber über geringe technische Fertigkeiten und wenig Wissen zum Internet. Sie scheinen eher leichtgläubig und unsicher zu sein. "Reflektierte" unterschätzen sich tendenziell, obwohl sie sich im Internet äußerst reflektiert bewegen. Sie verfügen zwar eher über weniger technische Fertigkeiten, geben bei Problemen jedoch nicht gleich auf, sondern suchen nach kreativen Lösungswegen. An der Typologie wird auch sichtbar, dass Faktoren wie zum Beispiel Entwicklungsaufgaben oder Bedürfnisse im Alltag das Medienhandeln der Kinder und Jugendlichen prägen.
Quellenangabe
Trültzsch-Wijnen, W. C. (2020). Medienkompetenz und Medienperformanz im Kontext der Social Web-Nutzung zehn bis 18-Jähriger Kinder und Jugendlicher. In C. W. Trültzsch-Wijnen (Hrsg.), Medienhandeln zwischen Kompetenz, Performanz und Literacy (S. 309-481). Springer.
Sonstige Anmerkungen
Heranwachende und junge Erwachsene nutzen das Handy vor allem, um sich mit Freund*innen auszutauschen. Das Internet dient ihnen dazu, sich zu unterhalten, zu entspannen und zu informieren. Heranwachsende surfen dabei auch gern ziellos im Netz. Überwiegend nutzen sie das Internet in rezeptiver Art und Weise. Eher selten engagieren sich Heranwachsende aktiv zu gesellschaftlichen Themen im Internet. Sie sind vor allem via Social Network Sites produktiv. Dort wird häufiger etwas veröffentlicht als beispielsweise in Blogs, Wikis oder Online-Foren. Je älter die Jugendlichen werden, desto intensiver nutzen sie auch das Internet. Kinder und Jugendliche schreiben dem Internet eher Chancen zu, wenn sie Erfahrung damit haben, je öfter und länger sie im Netz unterwegs sind sowie je breiter ihr Nutzungsspektrum ist.