Mitgestaltungskompetenz als eine Grundlage kritischer Datenkompetenz
Kurzbeschreibung
Auf der Basis geteilter Grundannahmen aus der informatischen Bildung und critical digital literacy-Ansätzen beschäftigen sich die Autor*innen mit der Frage, welche Kompetenzen für die Teilhabe an der digitalen Welt nötig sind. Dabei werden zunächst Überschneidungen beider Ansätze diskutiert, wie zum Beispiel, dass beide Ansätze ein bestimmtes Wissen über Technologien als Basis für kompetentes Handeln ansehen. Abschließend entwickeln die Autor*innen Überlegungen zu einer Mitgestaltungskompetenz, welche auf die in informatischer Bildung und critical digital literacy-Ansätzen vertretenen Gestaltungsperspektiven aufbaut. Diese soll es Kompetenzträger*innen ermöglichen, gemeinsam die Zukunft im Kontext von Technologieentwicklung zu gestalten. Es wird betont, dass die Entwicklung von Modellen für die Mitgestaltung komplexer Informationssysteme durch Nicht-Techniker*innen notwendig und eine Basis für kritische Datenkompetenz ist. Der Medienpädagogik kommt dabei die Rolle der Vermittlung von Kompetenz zu.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Die Autor*innen begreifen die Digitalisierung als ein umfassendes Phänomen. Betont wird, dass mit Blick auf eine zunehmende Datafizierung und Algorithmisierung ein kontinuierliches Weiterlernen nötig ist, um an der Gesellschaft teilhaben zu können.
Kompetenzanforderungen
Anwendungsbezogene und kritisch-reflexive Fähigkeiten sind in einer digitalen Gesellschaft von essentieller Bedeutung. Je nachdem, welcher Ansatz - informatische Bildung oder critical data literacy-Ansätze - im Zentrum steht, werden Kompetenzanforderungen unterschiedlich akzentuiert. So ist etwa in der informatischen Bildung das Wissen um Algorithmen und Datenstrukturen zentral. Es soll Nutzer*innen in die Lage versetzen, zu verstehen, wie und zu welchem Zweck ihre Daten verarbeitet werden. Aus dem Blickwinkel kritischer Software- und Datenstudien wird jedoch darauf hingewiesen, dass ein solches Wissen nur schwer erreichbar ist, unter anderem deshalb, weil Informationen darüber für Nutzer*innen häufig nicht zugänglich sind. Hinzu kommt, dass das Zusammenspiel von Datenbeständen und Praktiken, wenn es etwa um Machine-Learning-Verfahren geht, nicht (gänzlich) vorhersehbar ist. Des Weiteren agieren in beiden Ansätzen kompetente Nutzer*innen autonom mit der Technologie. Auch Mitbestimmungsfähigkeit und Gestaltung ist in beiden Ansätzen wichtig, wenn auch mit teils unterschiedlicher Akzentuierung. So kann Gestaltung etwa bedeuten, jeweils passenden Technologien auszuwählen. Eine andere Form umfasst eine Mitgestaltung der Lebenswelt (beispielsweise von Informationssystemen).
Kompetenzdimensionen
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Datenschutz umsetzen, etwa eine datensparsame Software-Alternative wählen, sich für einen Messenger entscheiden, der keine Nutzungsdaten auswertet, eigene Daten verschlüsseln, um sie vor Zugriffen zu schützen, Techniken zur Verschleierung anwenden, Privatsphäre-Einstellungen vornehmen; informatisches Grundverständnis.
Kognitive Dimension: informatisches Grundverständnis; Wissen um Algorithmen und Datenstrukturen.
Kreative Dimension: sich an der Gestaltung von Informationssystemen bzw. digitalen Artefakten beteiligen; informatische Problemlösungskompetenz erlernen; gemeinsam mit anderen Zukunft gestalten können.
Soziale Dimension: am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben können, das bedeutet gesellschaftliche Entscheidungen treffen, eigene Standpunkte einnehmen und Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen oder mit kritischer Reflexion gesellschaftlich (selbst-)wirksam werden; sich in einen multiperspektivischen und dialogischen Prozess einbringen können.
Kritisch-reflexive Dimension: Wissen um Datenschutz; (mit-)produzierte Ergebnissen hinsichtlich der Fragen bewerten, ob erstens (auch) die erwarteten Effekte realisiert wurden und zweitens diese Ergebnisse wünschenswert sind und was vor dem Hintergrund dieser weiter zu tun ist; persönliche Nutzungsassemblagen gestalten (zum Beispiel durch die Auswahl von Technologien, in denen Nutzer*innen in „Datentaktiken“auf Werkzeuge zurückgreifen, die ihrerseits durch „Technologie-Aktivist:innen“ gestaltet wurden); gesellschaftliche Dimension von Datafizierung mit intendierten wie nicht intendierten Auswirkungen kritisch betrachten und bewerten; am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben können, das bedeutet gesellschaftliche Entscheidungen treffen, eigene Standpunkte einnehmen und Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen oder mit kritischer Reflexion gesellschaftlich (selbst-)wirksam werden.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Die Autor*innen beschreiben Mitgestaltungskompetenz als "Kompetenz, sich in einem multiperspektivischen und dialogischen Prozess der Technologieentwicklung einbringen und gemeinsam mit anderen Zukunft gestalten zu können" (S. 127). Um komplexe Gegenstände gestaltet zu gestalten, bedarf es der Kollaboration mehrerer Akteur*innen. Somit liegt Handlungsmacht nicht im einzelnen Subjekt, sondern entsteht in der Praktik des Gestaltens. Durch dieses Konzept wird sowohl eine Trennung zwischen "machtlosen Nutzer*innen und machtvollen Gestalter*innen" (S. 127) aufgehoben, als auch Technologieproduktion und kritische Bewertung miteinander verbunden.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Die Autor*innen weisen auf die Schwierigkeiten hin, Wissen über Algorithmen und Datenstrukturen zu erlangen. In diesem Zusammenhang sind sowohl institutionelle Gegebenheiten (Stichwort "proprietäre Daten") als auch Vorkenntnisse von Kompetenzträger*innen Thema. So erlaubt beispielsweise die Sprache, in der Algorithmen und Datenmodelle verfasst sind, keinen einfachen Zugang zu den Informationen, da diese teils auch für Programmierer*innen nur schwer zu erschließen sind. Hinzu kommen Herausforderungen, die sich aus der Funktionsweise digitalen Systeme selbst ergeben (Stichwort "Machine Learning").
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
keine Angabe
Quellenangabe
Raffel, L.-A., Allert, H., & Richter, C. (2022). Mitgestaltungskompetenz als eine Grundlage kritischer Datenkompetenz. merz | medien + erziehung 66(6), 118-130.