Die Medienkritikfähigkeit von Kindern und Jugendlichen erforschen

Kurzbeschreibung

Im Zentrum des Artikels steht Medienkritikfähigkeit. Dazu wird in der Wissenschaft auf theoretischer Ebene zwar viel diskutiert, empirische Studien sind jedoch eher rar. Daher gehen die Autoren folgenden Fragen nach: Wie lässt sich Medienkritikfähigkeit operationalisieren? Was kann bei Studien zu Medienkritikfähigkeit methodisch herausfordernd sein? Und welche Schlüsse lassen sich daraus für zukünftige Forschungsvorhaben ziehen, die sich der Medienkritikfähigkeit von Kindern und Jugendlichen widmen? Dabei werden sechs Wünsche an künftige Forschung formuliert. Analyse-, Reflexions- und Urteilsfähigkeit sollten als zentrale Bestandteile von Medienkritikfähigkeit betrachtet werden. Das theoretische Konzept und das empirische Erhebungsintrument zu Medienkritikfähigkeit sollten zusammenpassen. Medienkritikfähigkeit sollte mit Blick auf einen bestimmten Gegenstand, zum Beispiel ein ausgewähltes Medium, erhoben werden. Lebenskontexte der Befragten sollten in das Material angemessen aufgenommen werden. Durch die Erhebung sollten sich Rückschlüsse auf gegenstands- und dimensionsbezogene Fähigkeiten ziehen lassen. Es sollten verschiedene Itemtypen zum Einsatz kommen, um Medienkritikfähigkeit möglichst umfassend zu erheben, zum Beispiel eine Kombination aus Performanzaufgaben, Selbsteinschätzungs- und Wissensfragen.

Annahmen über die Folgen der Digitalisierung

keine Angabe

Kompetenzanforderungen

Da der Fokus des Beitrags auf Medienkritikfähigkeit liegt, werden vor allem Reflexion, Analyse und Beurteilung von Medieninhalten und -angeboten als Anforderungen betrachtet. Detailliert sind die verschiedenen Anforderungen unter der Überschrift Kompetenzdimensionen zusammengefasst.

Kompetenzdimensionen

Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Technisches Bedienwissen; über Wissen zur Nutzung von Computern verfügen; Medien (rezeptiv) nutzen können.

Kognitive Dimension: Wissen über die Medienlandschaft und über grundlegende technische Funktionsweisen von Computern; Informationen sammeln und organisieren; medienbezogene Inhalte kennen und verstehen.

Kreative Dimension: Medien gestalten; Informationen erzeugen.

Soziale Dimension: Digital kommunizieren.

Kritisch-reflexive Dimension: Sich analytisch, reflexiv und ethisch mit Medienphänomenen auseinandersetzen, zum Beispiel mit problematischen gesellschaftlichen Prozessen; analytisches Wissen auf das eigene Handeln beziehen und unter der Prämisse sozialer Verantwortlichkeit betrachten; Medienangebote analysieren und bewerten können; Medienangebote und -inhalte beurteilen können, zum Beispiel Informationen anhand von Kriterien wie Glaubwürdigkeit oder Relevanz einschätzen können; Bedingungen der Medienproduktion und -verbreitung durchschauen und beurteilen, zum Beispiel algorithmische Prinzipien der Kuratierung von «content» in sozialen Netzwerken; medienspezifisches Strukturwissen praktisch anwenden; die Intention von Medieninhalten oder die wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen einzelner Medien identifizieren und bewerten; das eigene Verhalten im Rahmen digitaler und sozialer Austauschprozesse einschätzen.

Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz

Medienkritikfähigkeit findet sich in zahlreichen Konzepten zu Medienkompetenz und wird mitunter als wichtigste Kompetenzdimension angesehen. Denn sie kann ein Mittel sein "zur Emanzipation gegenüber Fremdbestimmung durch massenmediale Kommunikation" (S. 50). Medienkritikfähigkeit wird in Modellen allerdings unterschiedlich verortet. Dieter Baacke stellt sie als eine Dimension neben anderen, während andere Kritik als enger verbunden mit Wissen, Können und Analyse darstellen. Sonja Ganguin geht davon aus, dass sich Menschen Medienkritik stufenweise aneignen. Das bedeutet, dass bestimmte Fähigkeiten Voraussetzung für andere sind. Es besteht aber weitgehend Konsens darüber, welche Fähigkeiten Medienkritik umfasst. Dies ist vor allem die medienkritische Analyse, aber auch das Beurteilen. Reflexion wird in manchen Ansätzen explizit benannt, in anderen eher implizit mitgedacht. Wichtig für Medienkritikfähigkeit ist zudem das medienbezogene Wissen. Medienkritikfähigkeit ist auch ein wichtiges Bildungsziel medienpädagogischer Arbeit. Jedoch besteht eine große Kluft zwischen dem theoretischen Diskurs zu Medienkritikfähigkeit und der empirischen Studienlage. Über Medienkritikfähigkeit wird in der Theorie viel diskutiert, empirische Studien dazu sind jedoch vergleichsweise selten.

Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?

Die Autoren plädieren dafür, Erhebungsinstrumente immer mit der Zielgruppe vorab zu validieren. In diesem Fall sind dies Kinder und Jugendliche.

Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?

Medienkritik lässt sich als subjekt- und medienspezifisch verstehen. Das bedeutet, die Qualität von Medienkritik hängt von mehreren Faktoren auf individueller Ebene ab, darunter Alter, Vorwissen und Erfahrungen einer Person sowie ihren intellektuellen und sozial-moralischen Fähigkeiten. Zudem sind Werte eine Voraussetzung dafür, medienkritisch zu handeln. Medienkritikfähigkeit konzentriert sich oft auf bestimmte Medien, zum Beispiel Audiovisuelles. Da dadurch andere Medienphänomene unberücksichtigt bleiben, wird dies mitunter kritisch gesehen. Auf der anderen Seite wird beispielsweise medienbezogenes Wissen oft nur abstrakt beschrieben oder es wird dabei die Lebenswelt der Kompetenzträger*innen, die sich durch den digitalen Wandel verändert, zu wenig berücksichtigt.

Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz

Um ein empirisches Messmodell zu entwickeln, reicht es nicht aus, lediglich theoretische Konzepte zu Medienkritikfähigkeit zu analysieren. Darüber hinaus sind empirische Studien zu sichten, um herauszufinden, wo methodische Herausforderungen liegen. Eine erste Herausforderung ist bereits, theoretische Konzepte in empirische Erhebungsinstrumente zu überführen. Eine zweite besteht darin, dass nur wenige Studien zur Medienkritikfähigkeit von Kindern und Jugendlichen existieren. Drittens scheint es schwierig, Medienkritikfähigkeit allgemein zu erfassen, da sie nicht pauschal für alle Medienangebote gleich angewendet wird. So fokussieren sich Studien eher auf ausgewählte Medien oder Phänomene. Im deutschsprachigen Diskurs stehen vor allem klassische Massenmedien im Mittelpunkt. Dadurch geraten andere Phänomene aus dem Blick. Viertens ist es herausfordernd, dass die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen in den Erhebungsinstrumenten Berücksichtigung finden muss. Geschieht dies nicht ausreichend, sind Instrumente wenig valide. Quantitative Erhebungsinstrumente sind allein nicht geeignet, Medienkritikfähigkeit zu erfassen. Aber auch die Kombination qualitativer und quantitativer Zugänge bringt Herausforderungen mit sich. In offenen Antwortformaten können Befragte zwar detailliertere Angaben machen als dies bei geschlossenen Fragen möglich ist. Jedoch ist die Auswertung solcher Fragen anfälliger für Verzerrungen, da Codierende Antworten gegebenenfalls unterschiedlich verstehen. Dieses Risiko kann jedoch vermindert werden, indem ein standardisierter Codierleitfaden eingesetzt wird.

Quellenangabe

Ernst, J., & Seyferth-Zapf, C. (2024). Die Medienkritikfähigkeit von Kindern und Jugendlichen erforschen. MedienPädagogik, 57, 47–74. https://doi.org/10.21240/mpaed/57/2024.03.24.X

Zuletzt geändert am 16. Juli 2024.