Impulse für eine geschlechtergerechte Digitalpolitik – Ergebnisse aus dem Projekt »Digitales Deutschland | Monitoring zur Digitalkompetenz der Bevölkerung«
Kurzbeschreibung
Im Zentrum des vorliegenden Buches steht das Thema geschlechtergerechte Digitalpolitik. Auf Basis von drei Teilstudien geht das Forschungsteam zunächst folgenden Fragen nach: Welche Geschlechtsunterschiede zeigen sich in den Einstellungen und Digitalkompetenzen der Bevölkerung in Deutschland? Wie können Maßnahmen zur Digitalkompetenzförderung für Menschen im hohen Lebensalter gendersensibel gestaltet werden? Welche Herausforderungen stellen sich Initiativen, die sich der Förderung von Frauen und nichtbinären Personen in digitalen Umgebungen widmen? Abschließend bündelt das Autor*innenteam diese Erkenntnisse zu acht zentralen Handlungsempfehlungen für eine geschlechtergerechte Digitalpolitik.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Künstliche Intelligenz kommt in immer mehr Bereichen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Einsatz, zum Beispiel in der Medizin oder im Bildungsbereich. Menschen kommen in ihrem Alltag über unterschiedliche digitale Medien mit Künstlicher Intelligenz in Berührung. Dementsprechend benötigen sie Kompetenzen im Umgang damit. Eine weitere Folge des digitalen Wandels ist, dass sich das Problem intersektionaler Diskriminierung und der negative Einfluss von Stereotypen auf das Selbstbild verschärfen. Denn durch digitale Medien können verschiedene Formen der Diskriminierung im virtuellen Raum reproduziert werden. Zudem verändern sich nicht nur digitale Medien fortwährend, sondern mit ihnen auch Formen digitaler Gewalt. Initiativen, die Mädchen und Frauen im digitalen Raum empowern wollen, müssen entsprechend ständig ihre Programme und Strategien anpassen.
Kompetenzanforderungen
In der Studie werden verschiedene Kompetenzanforderungen im Umgang mit digitalen Medien bzw. Künstlicher Intelligenz angesprochen. Unter diese Anforderungen fallen instrumentell-qualifikatorische, kognitive, kritisch-reflexive, kreative, soziale und affektive Fähigkeiten. Detailliert werden diese in der Rubrik Kompetenzdimensionen aufgeführt.
Kompetenzdimensionen
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Technische Schwierigkeiten beim Umgang mit Medien selbstständig beheben können; Einstellungen den eigenen Wünschen entsprechend ändern können; wissen, wie man Datenschutzeinstellungen anpassen kann; wissen, wie man Standorteinstellungen deaktivieren kann; wissen, wie man Aufzeichnungen von Websites löscht; wissen, wie man das eigene Gerät schützen kann; kreative Inhalte mit anderen teilen können; Geräte bedienen können.
Kognitive Dimension: Wenn man Fragen hat, online passende Informationen finden können; Informationen bewerten können, z.B. die Glaubwürdigkeit von Quellen einschätzen können; wissen, wie man erkennen kann, ob ein WLAN-Netz sicher ist.
Affektive Dimension: Inhalte bedürfnisorientiert auswählen können; Grenzen in der eigenen Mediennutzung setzen können; digitale Medien so nutzen, dass es einem guttut.
Kreative Dimension: Kreative Inhalte (öffentlichkeitswirksam) erstellen können.
Soziale Dimension: Respektvoll auf Inhalte anderer reagieren können; kreative Inhalte mit anderen teilen können; sich privat vernetzen können; Online-Konflikte schlichten; online kollaborieren; an e-Petitionen mitwirken.
Kritisch-reflexive Dimension: Risiken der Nutzung von digitalen Medien und Online-Diensten erkennen können; die eigene Privatsphäre schützen können; Grenzen in der eigenen Mediennutzung setzen können; sich möglicher Diskriminierung durch Systeme Künstlicher Intelligenz bewusst sein; Altersdiskriminierung durch Algorithmen identifizieren können.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Lesekompetenz wird als Voraussetzung gesehen, um Medien- und Digitalkompetenz zu entwickeln.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
Im Rahmen der ersten Teilstudie wurde sowohl nach der Selbsteinschätzung von Kompetenzen als auch nach einer Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz dieser Kompetenzen gefragt. Über diese beiden Zugänge wurde die Perspektive der Befragten auf Kompetenz eingebunden. So verweisen die Daten etwa darauf, dass junge Frauen ein stärkeres Schutzbedürfnis haben als Männer. Sie finden es wichtiger, die eigenen Online-Daten zu schützen.
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
In die erste Teilstudie wurden mehrere Kontextfaktoren einbezogen - vor allem auf individueller Ebene. Darunter fallen Einstellungen gegenüber Künstlicher Intelligenz, die Breite und Intensität der Mediennutzung und Faktoren wie Alter, Geschlecht, formale Bildung sowie der Beruf. So wurden beispielsweise vier Berufsfelder (IT-Branche, schulischer Bildungsbereich, Pflege sowie Mitarbeitende im öffentlichen Dienst) sowie verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen. In der zweiten Teilstudie wird deutlich, dass das höhere Lebensalter durch eine hohe Binnendiversität gekennzeichnet ist. Diese wird jedoch bislang bei der Entwicklung von Bildungsangeboten - nicht nur bei Angeboten für Höheraltrige - zu wenig berücksichtigt. Dass es wichtig ist, sich an der Lebenswelt der Teilnehmenden zu orientieren, wird in allen Teilstudien betont. Kompetenzunterschiede zwischen Männern und Frauen im höheren Lebensalter bestehen nicht allein aufgrund des Geschlechts. Vielmehr sind sie Ausdruck sozialer Ungleichheit. Ungleichheitsmerkmale können etwa Altersarmut, die formale Bildung, Migrations- oder Diskriminierungserfahrungen sein. Auch die Wohnregion spielt eine Rolle, da Bildungsangebote zu Medien- und Digitalkompetenz nicht flächendeckend verbreitet sind. Zudem prägen stereotype Vorstellungen von Männern und Frauen nach wie vor die Gesellschaft. Solche negativen Altersbilder beeinflussen auch die Selbsteinschätzung der Kompetenzträger*innen und diese wiederum das Selbstvertrauen in den Umgang mit Medien.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
In der ersten Teilstudie wurden Selbsteinschätzungen erhoben. Bei diesem Verfahren gilt es jedoch, zwei Limitationen zu bedenken. Zum einen sind dadurch genderspezifische Verzerrungen nicht auszuschließen, da Männer eher dazu neigen, sich zu überschätzen, als Frauen. Zum anderen sind Effekte sozialer Erwünschtheit bei dieser Art der Befragung möglich.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Auf Basis eines breiten Kompetenzverständnisses verweisen die Ergebnisse der ersten Teilstudie auf verschiedene geschlechtsspezifische Unterschiede. Zwar finden Männer und Frauen die meisten Kompetenzen nicht unterschiedlich wichtig. Männer schätzen sich insgesamt aber als kompetenter ein als Frauen - wenn aus allen Kompetenzitems ein Index der Medienkompetenz gebildet wird. Werden die Items jedoch miteinander verglichen, schätzen sich Männer und Frauen vor allem in technischen Bereichen und beim Thema Datenschutz unterschiedlich ein. Oft schätzen Männer ihre Fähigkeiten als besser ein als Frauen. Eine Ausnahme von dieser Tendenz bildet die Fähigkeit, der eigenen Mediennutzung Grenzen zu setzen. Betrachtet man nur jungen Menschen, entsprechen die Ergebnisse tradierten Geschlechterrollen: Jungen schreiben sich eher Technikkompetenz zu, Mädchen eher soziale und kreative Kompetenzen. Die zweite Teilstudie zeigt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Selbsteinschätzung mit Blick auf das Smartphone kaum vorhanden sind. Eine Analyse von Bildungsangeboten ergibt, dass Lerninhalte zu Medien im höheren Lebensalter oft darauf ausgerichtet sind, Medien bedinen zu können und Kenntnisse zu vermitteln. Gestalterische, affektive und kritisch-reflexive Aspekte stehen dagegen weniger im Fokus.
Quellenangabe
Bogen, C., Brüggen, N., Hartung-Griemberg, A., Hoffmann, D., Meenen, S., Tausche, S., & Walsdorff, F. (2024). Impulse für eine geschlechtergerechte Digitalpolitik Deutschlands: Ergebnisse aus dem Projekt “Digitales Deutschland | Monitoring zur Digitalkompetenz der Bevölkerung”. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. https://doi.org/10.5281/zenodo.10405172
Sonstige Anmerkungen
Aus den Ergebnissen lassen sich acht Handlungsempfehlungen für eine geschlechtergerechte Digitalpolitik ableiten. Erstens sollte Digitalkompetenz ganzheitlich verstanden werden. Bislang wird sie häufig auf das Bedienen von Geräten reduziert. Digitalkompetenz umfasst darüber hinaus aber auch kognitive, kritisch-reflexive, soziale, kreative und affektive Aspekte. Zweitens sollte Medien- und Digitalkompetenz konsequent und von Anfang an geschlechtsspezifisch gefördert werden. Dazu benötigen gerade auch Betreuungspersonen Genderkompetenz. Drittens müssen Formen der Benachteiligung auch über die Dimension Gender hinaus betrachtet werden. Es gilt, sich mit Formen der Mehrfachdiskriminierung kritsch auseinanderzusetzen und bedarfsorientierte Angebote zu schaffen. Viertens sollten strukturelle Unterschiede der Fortbildungs-/ Unterstützungsangebote abgebaut werden. Fünftens braucht es eine nachhaltige Finanzierung von Empowerment-Initiativen und Förderprogrammen. Sechstens sollte die Vernetzung von Initiativen unterstützt werden, damit diese voneinander lernen können. Siebtens sollten neue digitale Phänomene antizipiert und Maßnahmen (beispielsweise gegen neue Formen digitaler Gewalt) schneller ergriffen werden. Und schließlich bedarf es achtens mehr partizipativer Forschung und Begleitforschung, die gezielt Frauen einbindet.