Kreativität
Kreativität
Menschen wollen und sollen kreativ sein. Warum eigentlich? Oder täuscht die Beobachtung, dass Kreativität immer stärker einem strategischen, zweckrationalen Nutzen unterliegt? Ist von der schöpferischen Kraft der Freiheit nur noch eine messbare Problemlösungskapazität jedes und jeder Einzelnen übrig?
„Kreativität“: ein aktuell besonders schillernder Begriff aufgrund der Vielzahl neuer Möglichkeiten, die digitale Medien dem kreativen Prozess eröffnen. Folgerichtig taucht er in nahezu jedem Modell von Medienkompetenz auf. Dabei bleibt aber oft vage, was mit Kreativität gemeint ist und wie sich die Förderung von Medienkompetenz zu diesem Wollen und Sollen positioniert.
Auch wir haben uns dafür entschieden, dem Thema Kreativität eine eigene Ausgabe zu widmen. Im Sinne der kontinuierlichen Erweiterung unseres Rahmenkonzepts wollen wir dabei der Frage auf den Grund gehen, welche Kompetenzanforderungen an uns alle gestellt werden, wenn sich kreative Prozesse zunehmend ins Digitale verlagern, digitale Technologien als Werkzeuge kreativer Prozesse genutzt werden und selbst Maschinen mittlerweile zugeschrieben wird, kreativ zu sein.
Was ist Kreativität eigentlich und was hat sie mit Medienkompetenz zu tun?
Im Beitrag zum Rahmenkonzept von Digitales Deutschland werden verschiedene Bedeutungsdimensionen, wie sie in vorliegenden Kompetenzmodellen zum selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien beschrieben werden, aufgegriffen. Schlaglichtartig betrachten Dr. Senta Pfaff-Rüdiger und Dr. Niels Brüggen, wie Kreativität als normative Begründung herangezogen wird, welche Fähigkeiten in kreativen Prozessen mit Medien angesprochen werden, und schließlich, wie kreatives Handeln im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen thematisiert wird.
In der Artikelreihe „Kreativität – (k)eine Frage des Alters“ analysieren unsere Kolleg*innen Laura Cousseran, Dr. Senta Pfaff-Rüdiger, Dr. Laura Sūna und Ursula Thum aus dem Projekt Digitales Deutschland den Zusammenhang von Kreativität und Medienkompetenz in unterschiedlichen Altersgruppen. Dabei, so die Erkenntnis, erlangt das kreative Potenzial aktiver Mediennutzung und -produktion gerade in Umbruch- und Übergangsphasen besondere Relevanz:
Während Kinder und Jugendliche Kreativität primär in interaktiven, kollaborativ nutzbaren Medienangeboten ausleben, ermöglichen es kritisch-reflexive Medienproduktionsprozesse erwachsenen Migrant*innen, einen Gegenentwurf zu gängigen medialen Erzählungen zu zeichnen, die häufig stereotyp geprägt sind. Damit leistet kreatives Medienhandeln einen Beitrag zur Identitätsarbeit und Partizipation von Migrant*innen in westlichen post-migrantischen Gesellschaften. Auch im höheren Lebensalter bleibt Kreativität bedeutsam bei der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen sowie individuellen Themen. Jedoch ist sie, so wie Körper und Geist, einem Veränderungsprozess unterworfen.
Damit zeigt sich, dass die kreative Mediennutzung und -gestaltung einen elementaren Beitrag zur Bewältigung individueller Lebensphasen leisten kann, erst recht mit den umfangreichen, aber ebenso herausfordernden Möglichkeiten des Digitalen.
Wie genau Kreativität und „das Digitale“ zusammenhängen, skizziert Prof. Dr. Hans Ulrich Reck in seinem Essay zum „Stichwort ‚digitale Kreativität‘…“. Dabei schildert er, dass Menschen in der westlichen Welt sich erst seit dem 19. Jahrhundert als kreative Wesen sahen: Zuvor waren sie allenfalls Entdecker*innen, aber lange Zeit keine Erfinder*innen oder Schöpfer*innen – diese Eigenschaften waren dem Göttlichen vorbehalten.
Jene Zeiten liegen glücklicherweise hinter uns. Mittlerweile gelingt es Einzelnen sogar, ihre Kreativität zum Beruf zu machen: Teresa Grenzmann gibt uns im Porträt der Designerin Amelie Goldfuß und des Malers Roman Lipski einen Einblick in das kreative Schaffen der beiden. Sie zeigen, wie die Nutzung Künstlicher Intelligenz dazu beigetragen hat, ihre Kunst weiterzuentwickeln, und inwiefern sich ihr persönliches Kreativitätsverständnis dadurch gewandelt hat.
Prof. Dr. Sascha Friesike wirft – im Gegensatz dazu – einen eher kritischen Blick auf den Einfluss des Digitalen auf die Inspiration, die jeder Kreativität zugrunde liegt. Dabei erfahren wir, warum es sich lohnt, den Dingen auf den Grund zu gehen, die Technik bisweilen hinter uns zu lassen, und was ein Werkstatthocker damit zu tun hat.
Im Audiobeitrag, einem neuen Format in unserem Magazin, geht der Journalist Marcus Richter der Frage nach, in welchem Verhältnis “Kreativität” und “Urheberrecht” eigentlich zueinanderstehen. Dabei beantworten seine Gesprächspartner*innen Dr. Katharina Kaesling (Käte Hamburger Kolleg “Recht als Kultur”), Henry Steinhau (irights-Academy) sowie der Musiker Maxwell Smart, inwiefern das Recht Kunstschaffende schützt, wo es Spielräume für kreatives Sampling gibt und welche Grenzen dabei mitunter beachtet werden müssen.
Die Rubrik „Fünf Fragen aus dem Netz“ beantwortet auch diesmal wieder häufig im Internet gestellte Fragen im Kontext von Kreativität und Digitalität. Daneben ergänzen die „Begriffe2go“ relevante Schlagworte, die den kreativen Prozess begleiten, befördern und beeinflussen können – analog wie digital.
Nicht zuletzt erfahren wir in unserer wiederkehrenden Rubrik „Lieber Mensch“ diesmal, was die Kreativität uns schon immer einmal sagen wollte. Und so viel sei verraten: Unser Beziehungsstatus würde auf Social Media lauten: „Es ist kompliziert“.
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre unserer zweiten Ausgabe von kompetent und freuen uns über kritisches wie wohlwollendes Feedback, kreative Anregungen und kluge Fragen, gerne auch zur nächsten Ausgabe unseres Magazins, die im Frühling 2022 erscheinen wird.