Fünf Fragen aus dem Netz
Fünf Fragen aus dem Netz
Geht es um das Thema Kreativität, kommen im Internet regelmäßig Fragen auf, denen im Diskurs offensichtlich ein besonderes Interesse zukommt. Unser Team hat sich einer Auswahl häufig gestellter Fragen angenommen und sie auf der Basis der Recherchen im Projekt DigiD kurz und knapp beantwortet.
Was ist Kreativität?
Der Kreativitätsbegriff findet seinen Ursprung in unterschiedlichen Disziplinen und wird aus dieser Unklarheit heraus heute nahezu beliebig und äußerst flexibel für verschiedene Bereiche verwendet. So umfasst „Kreativität“ im heutigen Sprachgebrauch ein breites Spektrum vom Schaffen eines außergewöhnlichen Meisterwerks bis zu trivialsten Alltagshandlungen. Obwohl der Begriff der Kreativität heutzutage vielseitig und beinahe inflationär verwendet wird, finden sich in theoretischen Arbeiten zum Kreativitätsbegriff zwei Eigenschaften, die Kreativität wiederholt zugeschrieben werden. So stellt zum einen Neuheit (oder Originalität) ein wichtiges Kriterium dar. Zum anderen erweist sich Angemessenheit bzw. Zweckhaftigkeit als unverzichtbare Eigenschaft. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass Kreativität als Bündel von Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden werden kann, um Dinge oder Ideen hervorzubringen, die originell sowie zweckhaft sind. Zweckhaftigkeit bedeutet dabei nicht unbedingt, dass das Geschaffene ökonomisch verwertbar sein muss. Eine Idee oder ein Werk, das auf individueller Ebene einen Sinn hat, beispielsweise indem es den*die Betrachter*in glücklich macht, kann auch kreativ sein.
Welche Arten von Kreativität gibt es?
Zur genaueren Spezifizierung des Kreativitätsbegriffs haben Kreativitätsforscher*innen verschiedene Arten von Kreativität bestimmt. Ein Konzept, das häufig genannt wird, ist die Unterscheidung von alltäglicher (Small C) und außergewöhnlicher (Big C) Kreativität. Small-C-Kreativität findet sich im Alltag und umfasst Erfahrungen und Ausdrucksformen, die für die meisten Menschen zugänglich sind. Sie hat in erster Linie einen Nutzen für die*den Kreative*n selbst und wird beispielsweise angewandt, um sich selbst zu verwirklichen, Gefühle und Bedürfnisse in eine kommunizierbare Form zu bringen oder negative Erlebnisse zu bewältigen. Bei der Big-C-Kreativität steht der Nutzen für die*den Kreativen selbst eher im Hintergrund. Denn Kreativität wird erst als „außergewöhnlich“ bezeichnet, wenn sie Bedeutung für Außenstehende bekommt. Die Alltags- und außergewöhnliche Kreativität kann sich verbinden und es finden sich zahlreiche Übergangsformen. Entgegen verbreiteter Mythen ist es also nicht so, dass Menschen entweder sehr kreativ sind oder gar nicht. Die moderne aktuelle Kreativitätsforschung geht davon aus, dass jeder Mensch kreativ ist und in einem bestimmten Maß das Potenzial besitzt, Kreativität hervorzubringen.
Kreativität – was passiert in unserem Gehirn?
Kreativität entsteht durch das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Regionen und Netzwerke in unserem Gehirn. Die Vorstellung, dass eine Gehirnhälfte kreativ sei und die andere eher logisch, ist ein Mythos. Um zu verstehen, welche Prozesse im Gehirn während kreativer Schaffensphasen ablaufen, unterscheiden Kreativitätsforscher*innen zwei Phasen. Am Anfang steht ein freier Flow, bei dem der*die Kreative neue Ideen hervorbringt. In der zweiten Phase werden die Ideen weiterbearbeitet und umfassend beurteilt.
In der ersten Phase wird eher das divergente und für die zweite Phase eher das konvergente Denken genutzt. Beim divergenten Denken sind vor allem die Hirnregionen des Default Mode Network aktiv. Sie werden benötigt, um Ideen aus der Tiefe des Gehirns zu sammeln, und sind vor allem in Ruhephasen aktiv, in denen der*die Kreative nur dasitzt und die Gedanken schweifen lässt. Für die zweite Phase, in der Ideen mittels konvergenten Denkens ausgestaltet und beurteilt werden, spielt das sogenannte Executive Attention Network eine Rolle. Es kommt zum Einsatz, um die Aufmerksamkeit auf eine einzige Aufgabe zu lenken und das Arbeitsgedächtnis zu aktivieren. Über die zwei genannten Phasen hinweg ist das sogenannte Salience Network beim kreativen Schaffen von Bedeutung. Denn es steuert, welche Neuronen-Netzwerke in welchen Situationen aktiviert werden – und stellt so sicher, dass die verschiedenen kognitiven Anforderungen, die im Kreativprozess gestellt werden, flexibel bewältigt werden können. Um kreativ zu sein, bedarf es also nicht einer bestimmten Gehirnregion, die besonders ausgeprägt ist. Vielmehr spielt das „Switchen“ zwischen den genannten drei Netzwerken eine zentrale Rolle.
Warum ist Kreativität als Kompetenz im digitalen Zeitalter von Bedeutung?
Das digitale Zeitalter zeichnet sich vor allem durch seine hohe Geschwindigkeit aus: Jedes Jahr werden neue Technologien massentauglich und verändern maßgeblich die soziale Lebenswelt. Es findet ein andauernder soziokultureller Wandel statt, an den sich Mensch und Gesellschaft stetig anpassen müssen. Hartmut Rosa beschreibt in seiner Zeitdiagnose die Folgen des beschleunigten Lebens: Ist das Individuum nicht ausreichend im System integriert, kann es zu einer Entfremdungserfahrung kommen. Kreativität als Kompetenz ist in diesem Rahmen eine Möglichkeit, wieder selbst aktiv im System mitzuwirken und Innovationen hervorzubringen. Zudem kann sie künstlerisches Schaffen fördern. So kann ein Gegenentwurf zum Alltagstrott entstehen, indem sich Menschen auf eine neue Art und Weise erfahren und selbst verwirklichen können.
Da die zunehmende Komplexität und Diversität unserer Lebenswelt gänzlich neue Probleme und Risiken schaffen, ist sowohl ein innovationsorientiertes als auch ein künstlerisches Verständnis von Kreativität essenziell. Nur so können die Probleme des digitalen Zeitalters bewältigt und neue Lösungen gefunden werden. Beispielsweise können im Zuge der Automatisierung maschineller Prozesse mithilfe von Künstlicher Intelligenz alte Wirtschaftszweige irrelevant werden. Um mit dieser Unsicherheit umzugehen, ist Kreativität entscheidend. Mit ihrer Hilfe können bestehende Strukturen erkannt und hinterfragt werden, um eine Neuorientierung zu wagen.
Wie kann Kreativität gemessen werden?
Kreativität kann, ähnlich wie Intelligenz, nicht physisch gemessen werden. Sie wird daher vor allem anhand von beobachtbarem Verhalten beurteilt. Da ausgeprägte Fähigkeiten zum divergenten und konvergenten Denken ein Indiz für eine kreative Begabung sein können, wird häufig versucht, diese in Tests zu erfassen. Neben verbalen Tests wie dem Unusual Uses Task, bei dem nach ungewöhnlichen Nutzungsmöglichkeiten von Gegenständen gefragt wird, werden im Torrance Test of Creative Thinking (TTCT) auch figurale Verfahren eingesetzt. Hier werden den Testpersonen beispielsweise halbfertige Zeichnungen vorgelegt, die dann vervollständigt werden müssen. Beim Remote Associates Test (RAT), der konvergentes Denken abfragt, werden den Testpersonen beispielsweise drei Wörter vorgegeben, zu denen ein Oberbegriff gefunden werden soll.
Bei den zuletzt genannten Testverfahren wird allerdings ein Problem sichtbar: Wann gilt eine Lösung als kreativ und wie vergleicht man verschiedene Lösungen sinnvoll? Die Bewertung kreativer Lösungen ist äußerst subjektiv und geprägt vom kulturellen Hintergrund der Forschenden. Darüber hinaus ist stets im Hinterkopf zu behalten, dass die aufgeführten Tests lediglich Denkkapazitäten messen, die für Kreativität relevant sein könnten. Andere Determinanten, die Kreativität beeinflussen, wie beispielsweise Neugier oder spezifisches Wissen, werden nicht berücksichtigt.
Zitation
Herrmann, S.; Tausche, S.; Mayr, L.; Schober, M. 2021: Fünf Fragen aus dem Netz. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/kuenstliche-intelligenz/fuenf-fragen-kreativitaet/