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Kompetenz als Ziel, Ermutigung als Weg

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Kompetenz als Ziel, Ermutigung als Weg

Handlungsempfehlungen für eine alters­über­grei­fende und
alters­differen­zierte Förderung von Medien- und Digital­kompetenzen

Dass Medien- und Digitalkompetenzen heute für die Bewältigung des Alltags unabdingbar sind, steht außer Frage. Aber wie können sie am besten gefördert werden? Die Autor*innen legen dar, welche Faktoren sich hemmend, welche förderlich auswirken und welche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen.

Lernen in unserer Zeit ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sich die Lerninhalte permanent ändern. Zur Halbwertszeit der Lerninhalte treten eine intransparente Verfasstheit und eine unregulierte Verfügbarkeit des zu Erlernenden. Was kann man noch glauben, wissen und können? Dass diese Unsicherheit viele Menschen entmutigt, ist nicht überraschend. Mut und Selbstvertrauen aber sind entscheidend beim Angehen neuer Herausforderungen, so auch im Umgang mit digitalen Medien und Künstlicher Intelligenz (KI). Die folgenden Ausführungen bündeln Handlungsempfehlungen für die Förderung eines angstfreien, kritischen und selbstbewussten Umgangs mit digitalen Medien und KI – in unterschiedlichen Lebensphasen und über alle Lebensalter hinweg.

Entmutigungsfallen erkennen:

Stereotypisierende Kompetenzzuschreibungen haben Einfluss auf die Selbstwahrnehmung und die Selbstwirksamkeitserwartungen der Lernenden.

Grundlegend für alle Lernprozesse, so auch im Umgang mit digitalen Medien und Technologien, ist bekanntermaßen eine hinreichende Motivation, sich gewisser Anstrengungen zu unterziehen, die mit der Aneignung von Unvertrautem verbunden sind (vgl. Cousseran und Lauber 2023). Maßgeblich für die Motivation ist die Überzeugung, diese Herausforderung bewältigen zu können, also das, was mit dem Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung gefasst wird. Wie Menschen ihre Fähigkeiten einschätzen, ist immer auch ein Ergebnis machtvoller Fremdzuschreibungen, d. h. der Frage, welche Entfaltungsmöglichkeiten ihnen zugeschrieben, aber auch abgesprochen werden.

Dieser Aspekt ist keineswegs trivial, denn gerade in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien kursieren zuweilen entmutigende Kompetenznarrative, die Lernmotivation und Lernerfolge negativ beeinflussen  können: „Erschreckende Defizite bei der Medienkompetenz“ (IHK, 09.2020), „Medienkompetenz. Die Kinder sind den Lehrern voraus“ (NDR, 22.03.2023) – so und ähnlich klingen Klagelieder über unzureichendes Wissen und mangelnde Fähigkeiten. Freilich sind Probleme wie diese ernst zu nehmen. Kompetenzen im Umgang mit (digitalen) Medien und KI sind heute unabdingbar für eine zeitgemäße pädagogische Praxis. Sie setzen jedoch voraus, dass es hierfür nachhaltig verankerte Gelegenheiten ihrer Aneignung gibt. Dem Problem ist also mitnichten durch eine Personalisierung des Versagens beizukommen. Nicht zuletzt hat das gesellschaftliche Ansehen des Lehrberufs einen Einfluss auf die Studienwahl von Abiturient*innen und die Motivation von Pädagog*innen. Wie sollen Lehrer*innen Kinder und Jugendliche ermutigen, wenn sie selbst bereits entmutigt sind?

Eine verbreitete Zuschreibung ist auch die Verknüpfung von Medien- und Digitalkompetenzen mit der jeweiligen Generation; etwa wenn nur wenige Ältere als „digital genug“ kategorisiert werden, um im Alltag „mitzuhalten“ (SWR 2021). Babyboomer*innen, Millennials, Generation Alpha, unter Berücksichtigung des digitalen Wandels wahlweise auch Digital Natives, Digital Immigrants oder Natural Born Digitals – solche Generationenetikettierungen kursieren allenthalben, wenn Kompetenzen der Bevölkerung im Umgang mit digitalen Medien und KI eingeschätzt und bewertet werden. In Medienkompetenzstudien werden jüngere Generationen als „digitale Vorreiter*innen“ bezeichnet, die den „BabyboomerInnen“ als „digital Mithaltende“ und der Generation bis 1945 als „digital Abseitsstehende“ gegenüberstünden (Initiative D 21 2022, S. 3).

Solche Etikettierungen begegnen uns vor allem dann, wenn das Lebensalter als Argument für nicht vorhandene Kompetenzen angeführt wird. Wissenschaftlich betrachtet sind diese „essayistischen Generationenkonzepte“ (Schäffer 2003) aus guten Gründen keine analytischen Kategorien: Zu heterogen sind die jeweiligen Alterskohorten, sowohl untereinander als auch in sich selbst. Auch suggerieren sie, dass Generationenkonflikte primär und zunehmend medialen bzw. digitaltechnologischen Ursprungs sind. Nicht zuletzt wecken entsprechende Bezeichnungen unrealistische Erwartungen an die jeweiligen Alterskohorten: So können „digitale Eingeborene“ digitale Medien qua Geburt fast von selbst nutzen, während „digitale Einwanderer“ die Nutzung erst (mühsam) erlernen müssen.

Oder doch nicht? Wer würde davon ausgehen, dass unsere Kinder richtiges Verhalten im Straßenverkehr schon allein aufgrund ihrer Geburt in mobilen, industrialisierten Gesellschaften verinnerlicht haben? Ähnlich verhält es sich angesichts des digitalen Wandels: Ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien und Systemen muss erlernt und angeeignet werden und endet nicht mit einer bestimmten Altersgrenze, erst recht nicht unter Berücksichtigung der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung.

Differenzieren und Ermutigen:

Es bedarf ermutigender Auseinandersetzungen, die das Selbstvertrauen des Menschen in seiner Vielfältigkeit stärken.

Wie wirkmächtig Kompetenzzuschreibungen sein können, zeigt sich vielfach an der Selbstwahrnehmung älterer Menschen. Das im Hinblick auf digitale Medien negativ geprägte Altersbild bestätigt hier nicht selten das eigene Fremdheitsgefühl, diese Neuentwicklungen ohnehin nicht mehr begreifen zu können (z. B. Sachverständigenkommission 2010, S. 292). In der Psychologie wird dieser Effekt mit der Stereotype-Threat-Theorie erklärt. Damit beschrieben wird die Angst, die Menschen in einer Situation empfinden, in der sie anhand negativer Zuschreibungen bewertet werden, bzw. die Sorge, diese Stereotype durch ihr eigenes Verhalten zu bestätigen.

Ähnliche Effekte zeigen sich im Hinblick auf Geschlechterzuschreibungen. Der kompetente Umgang mit Technik ist nach wie vor männlich konnotiert, Frauen dagegen gelten als technikscheu (Ehlers et al. 2016, S. 18). Die Ergebnisse unserer Studien zeigen, dass sich bereits Mädchen und junge Frauen hinsichtlich ihrer Medien- und Digitalkompetenzen als weniger kompetent und handlungsmächtig einschätzen als ihre männlichen Altersgenossen (Schober et al., 2022). In Digitalkompetenzkursen für Ältere begünstigt diese Einschätzung nicht selten eine Ablehnung geschlechtsheterogener Lernkonstellationen, da eine Gruppendynamik zuungunsten weiblicher Teilnehmerinnen gefürchtet wird (Bogen und Hartung-Griemberg, in Vorbereitung).

Hier bedarf es vor allem auch in der öffentlichen Kommunikation ermutigender Auseinandersetzungen, die das Vertrauen in die Lern- und Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen in seiner Vielfalt und Vielfältigkeit stärken. Dies beinhaltet auch Identifikationsmöglichkeiten über differenzierte Rollenbilder, die die Selbstwirksamkeitserwartungen des Menschen positiv beeinflussen. Nicht zuletzt sind stereotype Zuschreibungen problematisch, da sie die große Diversität der Lebenslagen und damit der kompetenzbezogenen Herausforderungen verschleiern.

Auch die Ergebnisse unserer Studien unterstreichen, wie wenig zielführend eine Exklusion einzelner sozialer Merkmale bzw. Zugehörigkeitskategorien ist (Alter, Geschlecht, Migration etc.) für eine problemorientierte Wissenschaft und Praxis sind. Um soziale Ungleichheiten – auch hinsichtlich der je unterschiedlichen Voraussetzungen für das Lernen mit digitalen Medien und KI – in ihrer wechselbezüglichen Bedingtheit erkennen und angehen zu können, ist eine diversitätssensible und intersektionale Perspektive unerlässlich. Eine solche Perspektive beinhaltet die kritische Analyse und Dekonstruktion medialer Repräsentationen ebenso wie partizipativ-gestalterische Möglichkeiten, verschiedene Sichtweisen einzubringen und erfahrbar zu machen.

Ängsten und Resignation entgegenwirken:

Orientierungs- und handlungspraktisches Wissen befähigt Menschen dazu, das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins rational-analytisch anzugehen und selbstwirksam zu agieren.

Wie wichtig die empfundene Selbstwirksamkeit für Lernprozesse im Umgang mit digitalen Medien und KI ist, verdeutlicht die kompetenzbezogene Selbsteinschätzung von Jugendlichen. Zwar sind sie sich bspw. der Problematik der automatisierten Selektions- und Informationsverarbeitung von Daten überwiegend bewusst. Allerdings fällt es ihnen schwer, das eigene Handeln im komplexen Zusammenspiel mit Verfahren der Datenerhebung und -verwertung zu verorten. Die wahrgenommene Komplexität hat zur Folge, dass sich viele Jugendliche überfordert fühlen, was sich mitunter in einer resignativen Grundhaltung im Umgang mit Daten ausdrückt (vgl. Brüggen et al. 2014; Brüggen und Schober 2020; Gebel et al. 2016; Schober et al. 2022).

Dieser pragmatische Fatalismus (Pettenkofer 2017) lässt sich auch für andere Zielgruppen feststellen: Obwohl viele Menschen angesichts undurchsichtiger Datenpraktiken situations- und anlassbezogen ein diffuses Unwohlsein empfinden, überwiegt im persönlichen Abwägen vielfach die wahrgenommene Nützlichkeit digitaler Anwendungen. Mögliche Risiken und fehlende Transparenz bleiben entweder unreflektiert oder werden als unveränderbar eingestuft und (zähneknirschend) akzeptiert.

Bei älteren Menschen können Unsicherheiten zu einer generellen Ablehnung digitaler Angebote führen. Hier spielen neben strukturellen vor allem inhaltliche Aspekte eine Rolle, wenn es etwa darum geht, die Glaubwürdigkeit von Internetquellen und -informationen zu beurteilen. Während viele ältere Menschen den Nachrichten der Massenmedien mit Vertrauen begegnen, stehen sie den Informationen sozialer Netzwerke vielfach distanziert gegenüber. Vor allem älteren Menschen mit niedriger Bildung fällt es zudem schwer, die Neutralität und Vertrauenswürdigkeit von Online-Quellen einzuschätzen. Die medienbezogene Skepsis, aber auch das mangelnde Selbstvertrauen haben zur Folge, dass viele ältere Menschen digitale Partizipationsangebote weniger als Möglichkeit für die eigene Beteiligung an Prozessen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung in Betracht ziehen.

Altersunabhängig zeigen die Ergebnisse unserer Studien, dass die Entwicklungen um Digitalisierung und KI häufig affektiv bewertet werden und mit teils ambivalenten Vorstellungen verbunden sind (Sūna und Hoffmann 2022; Schober et al. 2022). Nicht selten , etwa in Gestalt von Science-Fiction-Narrativen, wie sie auch in populärkulturellen Debatten zu KI kursieren. So zeigt unsere Analyse von Kommentaren in populären sozialen Netzwerken und Online-Diskussionsforen, dass viele Nutzer*innen angesichts der schnellen Lernfähigkeit algorithmischer Empfehlungs- und Entscheidungssysteme fürchten, androide Technologien würden zukünftig die Weltherrschaft übernehmen (Technophobie). Andererseits zeigt sich auch die technikoptimistische Erwartung, dass KI-getriebene Technologien automatisch zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, z. B. über assistive Technologien im Pflegebereich, beitragen können (Solutionismus) (vgl. Sūna und Hoffmann 2022). Die Ergebnisse unserer bundesweiten Repräsentativbefragung der deutschsprachigen Bevölkerung ab zwölf Jahren belegen insbesondere ein Basiswissen im Bereich KI, z. B. dass Menschen eine wichtige Rolle beim Programmieren von KI spielen oder KI-Systeme aus Daten lernen;  handlungspraktisch relevantes Wissen, z. B. über Möglichkeiten, eigene Datenspuren im Netz zu löschen oder zu erkennen, ist dagegen eher rudimentär entwickelt (Pfaff-Rüdiger et al. 2022, S. 37).

Für eine sachlich-problemorientierte Auseinandersetzung ist ein grundlegendes Wissen unverzichtbar. Es geht dabei letztlich um ein Verständnis sowohl der technischen Grundlagen der algorithmusgetriebenen Datenverarbeitung als auch der sozialen Konsequenzen algorithmusbasierter Entscheidungen (ebd., S. 51). In der Verknüpfung von technischem Grundlagenwissen, sozial-ethischer Einordnung und anwendungsorientiertem Handlungswissen (vgl. hierzu auch Brinda et al. 2020) befähigt dieses Orientierungswissen den Menschen dazu, das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins rational-analytisch anzugehen und selbstwirksam zu agieren.

Dieses Wissen wird aber nur dann zu vermitteln sein, wenn es sich nicht nur durch technologische Funktionserfordernisse definiert, sondern das Erlernen an die Voraussetzungen und Handlungsorientierungen der Menschen anknüpft. Das bedeutet bspw. auch, bisherige Lernerfahrungen und damit habituelle Medienpraxen nicht vorschnell als zu lösendes Problem einzustufen, sondern die damit verbundenen Fragen als erkenntnisleitende Suchbewegung gezielt aufzugreifen. Neues Wissen wird für den Menschen nur dann persönlich relevant sein, wenn es durch alltagsnahes Handeln vollzogen und nachvollzogen werden kann.

Sicherheit und lebensweltnahe Experimentierräume:

Es bedarf geschützter Räume, in denen sich Angehörige aller Altersgruppen spielerisch erproben können.

Um Vorbehalte ernst zu nehmen und Berührungsängsten entgegenzuwirken, bedarf es geschützter Räume, die Menschen aller Altersgruppen und unterschiedlicher Voraussetzungen die notwendige Sicherheit geben, neue (Lern-)Schritte zu wagen. Das explorative Handeln in moderierten Räumen ist zudem eine entscheidende Bedingung dafür, digitale Medien nicht ausschließlich rezeptiv, sondern auch aktiv und produktiv nutzen zu können. Ein solches Explorieren ist lebensbegleitend zu fördern und muss bereits in der Elementarpädagogik der frühen Kindheit ansetzen.

Kinder kommen frühzeitig mit digitalen Medien und KI in Berührung, etwa dann, wenn Sprachassistenten bzw. Smartspeaker als Begleitung des Familienalltags Musik und Geschichten abspielen, zum Zähneputzen anleiten oder Geräte im Haushalt steuern. Es ist wichtig, diese Praxen als lebensweltrelevante Themen spielerisch aufzugreifen.

Vor allem im Jugendalter sind Räume für Probehandlungen und damit Identitätsexperimente von großer Bedeutung. Diese „Praktiken des Formwandels“ (z. B. Schachtner und Duller 2013) zeigen sich bereits in der nomadischen Bewegung zwischen unterschiedlichen Plattformen, auf denen Jugendliche unterschiedliche Rollen und Identitätsfacetten des Selbst erkunden. Dazu gehört auch, beim Handeln in sozialen Netzwerken abzuwägen, ob man sich inhaltlich und strukturell dem Diktat der Plattformen beugt – bspw. hinsichtlich einer idealisierten Selbstinszenierung oder der voreingestellten Datenfreigabe – oder aber alternative, kreative Umgangsweisen entwickelt (vgl. Bamberger et al. 2023, S. 33, Schober et al. 2022, S. 48 ff.).

Prinzipiell gilt es, den spielerisch-tentativen Facetten des Erwerbs von Medien- und Digitalkompetenzen nicht nur im Kindes- und Jugendalter, sondern in allen Lebensphasen eine stärkere Beachtung zu schenken. Vor allem in späteren Lebensphasen stehen Bildung und Lernen häufiger unter dem Diktat der Zweckrationalität.

Im Erwachsenenalter ist der Blick rollenspezifisch auf die Bewältigung gesellschaftlicher Anforderungen in den Lebensbereichen Arbeit (Employability), Familie (Erziehungs- und Verbraucherkompetenzen) und Zivilgesellschaft (gesellschaftliche Verantwortung) gerichtet; im höheren Lebensalter geht es rollenunspezifisch um Fragen der Bewältigung altersbedingter Einschränkungen und des Zugangs zu gesellschaftlichen Teilbereichen (Teilhabe).

Es überrascht nicht, dass Expert*innen in der Bildungsarbeit mit Älteren mitunter bewusst auf pädagogische Leitbegriffe verzichten, weil diese einerseits mit Leistungsanforderungen und Versagensängsten assoziiert werden können, andererseits aber auch den Argumenten vieler Älterer Vorschub leisten, dass entsprechende Lernerfahrungen altersbedingt nicht mehr möglich sind (Hartung-Griemberg und Bogen 2022a, S. 6). Sichere Erkundungsräume bedürfen im höheren Lebensalter zudem angemessener Lernkonstellationen. Auch wenn der Austausch mit Jüngeren vielfach als wichtig und bereichernd eingeschätzt wird, bevorzugen viele Ältere Lernangebote in Peer-to-Peer-Konstellationen, da sie sich hier eher verstanden fühlen und ihnen die Angst genommen wird, „falsche“ Fragen zu stellen.

Teilnahme und Teilgabe:

Das eigene (Mit-)Gestalten von Medien und medialen Artefakten stärkt das Selbstwertgefühl und die Selbstermächtigung der Lernenden.

Partizipation ist eines der prominentesten Argumente, wenn die Notwendigkeit des Lernens mit digitalen Medien und KI begründet wird. Die Bestimmung und Auffächerung dessen, was genau unter dem Begriff zu verstehen ist, bleibt indes vielfach unterkomplex (Hartung-Griemberg und Bogen 2023). Bezeichnet wird mit „Partizipation“ in der Regel lediglich der digital vermittelte Zu- und Umgang, etwa die Nutzer*innen-Aktivität in sozialen Netzwerken. Eine entscheidende Voraussetzung dafür, Selbstwirksamkeit zu erfahren und Vertrauen in Hinblick auf den Umgang mit neuen Anforderungen zu entwickeln, sind aber auch Möglichkeiten des Teilgebens und Teilnehmens. Damit ist gemeint, dass Menschen durch eigenes Mitgestalten von Medien und medialen Artefakten an der Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv teilnehmen.

Damit ist ein zentrales Prinzip der aktiven Medienarbeit angesprochen. „Mehr denn je ist sie gefordert, um den (medialen) Status Quo nicht nur zu reflektieren, sondern sozial und ethisch mit Gestaltungsanspruch aufzutreten und diesen nach Möglichkeit auch zu realisieren“ (Hartung-Griemberg und Reißmann 2022, S. 86). Die kreative Auseinandersetzung fördert die Fähigkeiten, Probleme zu erkennen, Ideen zu entwickeln und eigene Lösungsideen einzubringen.

Bei Kindern und Jugendlichen gilt es bspw., an bereits vorhandene kreative Umgangsweisen anzuknüpfen. So zeigen unsere qualitativen Studien, dass Jugendliche in Ermangelung alternativer Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit angebotsseitig limitierten Optionen überwiegend explorativ handeln. Um den Algorithmus den eigenen Nutzungsmotiven entsprechend „auszutricksen“, werden bspw. falsche Angaben gemacht, unterschiedliche Accounts angelegt oder das Klickverhalten gezielt gesteuert (Schober et al., 2022). Es gilt, solche alternativen Handlungspraxen, wie hier in der Begegnung mit algorithmischen Empfehlungssystemen, als Ausgangspunkt einer weiteren subversiven Auseinandersetzung bewusst aufzugreifen.

In Projekten mit Migrant*innen haben sich kreative Ansätze wie die des „Digital Storytelling“ als besonders geeignet erwiesen. Digitale Erzählungen erlauben niedrigschwellige Formen der Artikulation und Aushandlung von Moralvorstellungen, Geschlechterrollen, Familie und Beziehungen und stärken damit das Selbstwertgefühl und die Selbstermächtigung der Lernenden (Bozdağ 2013, Sūna, 2021). Daneben kann die Erfahrung partizipativer, medialer Identitätsarbeit insbesondere jene Menschen positiv bestärken, die das Gefühl haben, in der Aufnahmegesellschaft (noch) nicht angekommen zu sein. Formen der Teilgabe finden sich aktuell auch innerhalb des ehrenamtlichen Engagements, das zahlreiche ältere Technikbotschafter*innen an mehr als hundert lokalen, digitalen Standorten im Rahmen des Projekts Digital-Kompass (BAGSO 2023) leisten, indem sie Gleichaltrige in kollektive Lernprozesse beim Medienkompetenzerwerb einbinden (Hartung-Griemberg und Bogen 2023, S. 5).

Die Prinzipien der Teilgabe und Teilnahme korrespondieren mit den Idealen demokratischer Gesellschaftsverfassungen. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere entwickeln im Bestfall „eine Haltung, die den oft virulenten Ohnmachtsgefühlen widersteht“ – eine Haltung, die nicht nur für die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Mitgestaltung sensibilisiert (Hartung-Griemberg und Reißmann 2022, S. 86). Für Bildungspolitik und -praxis bedeutet dies, Rahmenbedingungen des Lernens zu gestalten, die neben einem zweckbestimmten Wirklichkeitssinn auch Raum für eine Entfaltung des Möglichkeitssinns zulassen.

Aufsuchen und verbinden:

Es bedarf der sozialräumlichen Vernetzung von Bildungsakteur*innen, die in enger Kooperation niedrigschwellige Gelegenheiten des Erwerbs von Medien- und Digitalkompetenzen entwickeln.

Für den Erwerb von Medien- und Digitalkompetenzen braucht es passende Gelegenheiten. Was so einfach klingt, ist gleichzeitig sehr anspruchsvoll. Das beginnt bereits bei der Frage nach der Verfügbarkeit bedarfsadäquater Angebote. Die Ergebnisse unserer Studien zeigen, dass ein Bedarf an Unterstützungsangeboten besonders bei Menschen besteht, die von medienpädagogischen Maßnahmen nur schwer erreicht werden. So ist bspw. älteren Migrant*innen nicht bekannt, dass vielfach lokale Weiterbildungsangebote existieren (Bogen und Hartung-Griemberg, in Vorbereitung). Auch stellt hier die empfundene Scham angesichts kultureller Unterschiede und Verständigungsschwierigkeiten bereits eine erste Hürde dar.

Es gilt, niedrigschwellige Angebote zu entwickeln, die außerhalb institutionalisierter „Kommunikationsstrukturen“ möglichst offen, unbürokratisch und just in time in Anspruch genommen werden können. Das setzt freilich voraus, dass Bildungsträger stärker als bislang mit anderen Institutionen, z. B. Migrant*innen-Selbstorganisationen, zusammenarbeiten und politische Unterstützung erhalten, um kostenfreie Kurse und eine quartiernahe Eins-zu-eins–Beratung mit kultursensiblen, mehrsprachigen Dozent*innen anbieten zu können. Weil Familienangehörige von älteren Menschen mit Migrationsgeschichte einen hohen Stellenwert beim Medienkompetenzerwerb einnehmen, ist zu erwägen, ob Vertreter*innen aus der Bildungspraxis das nahe soziale Umfeld bei der Konzeption von Kursangeboten miteinbeziehen, um dem hohen Stellenwert des intergenerationellen, familialen Lernens besonders bei älteren Menschen mit Migrationsgeschichte Rechnung zu tragen (Bogen und Hartung-Griemberg, in Vorbereitung).

Solche aufsuchenden Zugänge der Unterstützung sind aber nicht nur hier, sondern lebensbegleitend für alle Zielgruppen zu realisieren. Das bedeutet, dass Familien einfache Zugänge zu Informationen finden, die sie bei der Gestaltung des medialen und digitalen Erziehungsalltags unterstützen, so etwa über Auslagen in Arztpraxen, Apotheken, Kindertageseinrichtungen und Schulen.

Ein gelungenes Beispiel für eine solche Praxis ist das vom BMBF geförderte Projekt „Lesestart 1-2-3“. Im Rahmen des bundesweiten Modellversuchs zur frühen Sprach- und Leseförderung für Familien mit Kindern im Alter von einem, zwei und drei Jahren wurden Lesestartpakete (samt Anleitungen, Fachliteratur und Bilderbüchern) quasi en passant über die verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen in Kinderarztpraxen verteilt.

Lebensalterübergreifend gilt es bei der Ansprache und Gestaltung von Bildungsangeboten darauf zu achten, der Diversität von Identitäts- und Lebenskontexten zu entsprechen (s. Entmutigungsfallen!). So tragen bspw. die an ältere Menschen gerichteten Online-Handreichungen, -Erklärvideos, Webauftritte und Print-Ratgeber der hohen Binnendiversität dieser Altersgruppe kaum Rechnung. Auch werden hier Problemkontexte des Alters wie Altersarmut, Alterseinsamkeit sowie Behinderungen und körperliche/kognitive Einschränkungen ausgeblendet (Hartung-Griemberg und Bogen 2022b, S. 20). Im Sinne einer inklusiven Medienbildung sollten daher Veranstaltungsankündigungen auch Hinweise dazu enthalten, ob das jeweilige Bildungsangebot barrierefrei ist (Miesenberger et al. 2012, S. 45).

Ermöglichung und Nachhaltigkeit:

Die Förderung von Medien- und Digitalkompetenzen darf nicht den Profitinteressen der Wirtschaft anheimfallen , sondern muss vonseiten der Politik strukturell und nachhaltig angelegt sein.

Gelegenheitsstrukturen und Ermöglichungsbedingungen zum Medien- und Digitalkompetenzerwerb sind ausgehend von den Bedürfnissen und Bedarfslagen des Menschen zu entwickeln. Der Anspruch individueller Datensouveränität ist bereits insofern als ein grundlegendes Problem zu sehen, als viele Unternehmen und Anbietende kaum Transparenz darüber herstellen, welche Nutzungsdaten erhoben und gesammelt bzw. wie sie genutzt werden. Daher überrascht es auch nicht, dass die wenigsten Nutzer*innen einschätzen können, ob Unternehmen verantwortungsvoll mit ihren Daten umgehen (Pfaff-Rüdiger et al. 2022, S. 36). Ein erster Schritt zu größerer Transparenz wäre hier, sichtbar zu machen, welchen Anwendungen und Angeboten beispielsweise KI-basierte Technologien zugrunde liegen, da diese im Alltag bereits deutlich stärker verankert sind, als angenommen wird (vgl. auch Marci-Boehncke und Rath 2020, S. 31).

Chancengleichheit in Bezug auf Teilhabe- und Kompetenzaneignungsmöglichkeiten setzt einen Ressourcenausgleich voraus, der strukturell und nachhaltig angelegt sein muss. Ein Beispiel: Expert*innen der Altersbildung betonen, dass ein strukturelles Problem vieler Initiativen bereits in ihrer zeitlich begrenzten Laufzeit und damit in ihrer lediglich punktuellen Unterstützung besteht. Gerade bei Initiativen, die auf dem Engagement Ehrenamtlicher beruhen, bedarf es jedoch langfristiger Unterstützungsformen, beispielsweise in Form der Schaffung von hauptamtlichen Mitarbeiter*innenstellen (Hartung-Griemberg und Bogen 2022a, S. 6).

Letztlich besteht ein großer Bedarf an Begleitforschung, die das Handlungswissen und die Erfahrungen von Pädagog*innen ebenso wie der Teilnehmer*innen von Lernangeboten systematisch und deutschlandweit erfasst und so auch Schwachstellen in der Förderpraxis sichtbar macht. Dieses Wissen ist auch eine Voraussetzung dafür, marginalisierten Gruppen erfolgreich erprobte bzw. passgenauere Bildungsformate anbieten zu können. Daneben darf das Engagement zur digitalen Kompetenzentwicklung breiter Bevölkerungsgruppen institutionalisierte Akteur*innen und öffentliche Einrichtungen nicht von ihrer Pflicht entbinden, auch weiterhin entsprechende analoge Angebote zur Bildung und Beteiligung zu unterbreiten, um niemanden dauerhaft auszuschließen – nur auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Gesellschaft als Ganzes den digitalen Wandel gemeinschaftlich gestalten kann.

Literatur

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  2. Bamberger, Anja; Stecher, Sina; Berg, Katja; Gebel, Christa; Brüggen, Niels (2023). „Ich habe einen normalen Account, einen privaten Account und einen Fake Account.“ Instagram aus der Perspektive von 12- bis 15-Jährigen mit besonderem Fokus auf die Geschlechterpräsentation. ACT ON! Short Report Nr. 10. Ausgewählte Ergebnisse der Monitoring-Studie. Unter Mitarbeit von Marion Biendl und Julia Gerum. München: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Online verfügbar unter https://act-on.jff.de/wp-content/uploads/2023/03/jff_muenchen_2023_acton_shortreport10_lang.pdf, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
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  4. Bozdağ, Ciğdem (2013). Aneignung von Diasporawebsites. Eine medienethnografische Untersuchung in der marokkanischen und türkischen Diaspora. Wiesbaden: Springer VS Verlag.
  5. Brüggen, Niels (2022). Welche Datenkompetenz darf es bitte sein? Ein Blick auf Kompetenzmodelle zum Umgang mit Daten. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar unter https://digid.jff.de/magazin/daten/datenkompetenzmodelle/, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
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  7. Brüggen, Niels; Dirr, Eva; Schemmerling, Mareike; Wagner, Ulrike (2014). Jugendliche und Online-Werbung im Social Web. München. Online verfügbar unter www.jff.de/jff/fileadmin/user_upload/Projekte_Material/verbraucherbildung. socialweb/JFF-Studie_Jugendliche_Online-Werbung_SocialWeb.pdf, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
  8. Cousseran, Laura; Lauber, Achim (2023). Zum Verhältnis von Motivation und Medienkompetenz. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar unter https://digid.jff.de/fokus-auswertung-zu-motivation-und-kompetenz, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
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  14. Hartung-Griemberg, Anja; Reißmann, Wolfgang (2022). Medienkompetenzen der „Lernenden“? Orientierungsleistungen zur Bewältigung differenter und wechselnder Lebenshorizonte. In: Schorb, Bernd; Bensinger-Stolze, Anja; Schell, Fred; Dusse, Birgita; Antritter, Wolfgang (Hrsg.). Umrisse einer Pädagogik des 21. Jahrhunderts im Kontext der Digitalisierung. Münch: kopaed, S. 75–89.
  15. IHK – Industrie- und Handelskammer (2020). Studie: „Erschreckende Defizite bei der Medienkompetenz“. Veröffentlicht im September 2020. Online verfügbar unter https://www.ihk.de/osnabrueck/servicemarken/ueber-uns/ihk-netzwerke/ihk-netzwerkoeffentlichkeitsarbeit/studie-2020-medienkompetenz-lehrer-4883080, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
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  23. Schachtner, Christina; Duller, Nicole (2013). Kommunikationsort Internet. Digitale Praktiken und Subjektwerdung. In: Carstensen, Tanja; Schachtner, Christina; Schelhowe, Heidi; Beer, Raphael (Hrsg.): Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart. Bielefeld: transcript.
  24. Schäffer, Burkhard (2003). Generationen – Medien – Bildung. Medienpraxiskulturen im Generationenvergleich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  25. Schober, Maximilian; Lauber, Achim; Bruch, Louisa; Herrmann, Simon; Brüggen, Niels (2022). „Was ich like, kommt zu mir“. Kompetenzen von Jugendlichen im Umgang mit algorithmischen Empfehlungssystemen. Qualitative Studie im Rahmen von „Digitales Deutschland“. Herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. München: kopaed.
  26. Sūna, Laura; Hoffmann, Dagmar (2022). Online-Kommentare zu Künstlicher Intelligenz – zwischen Angst und Hoffnung. In: kompetent. Online-Magazin, Ausgabe #3 (Themenheft „Emotionen“). Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar unter https://digid.jff.de/magazin/emotionen/online-kommentare-ki/, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
  27. Sūna, Laura (2021). Zugehörigkeiten und Kreativität von Migrant*innen im Erwachsenenalter. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar unter https://digid.jff.de/magazin/kreativitaet/kreativitaet-erwachsene/, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
  28. SWR (2021). Senioren in der Corona-Pandemie: Wer offline ist, hat verloren. Veröffentlicht am 8. Dezember 2021. Online verfügbar unter https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/seniorinnen-und-senioren-verlierer-der-digitalisierung-100.html, zuletzt geprüft am 25.10.2023.

Zitation

Hartung-Griemberg A., Berg K., Bogen C. 2023: Kompetenz als Ziel, Ermutigung als Weg. Handlungsempfehlungen für eine altersübergreifende und altersdifferenzierte Förderung von Medien- und Digitalkompetenzen. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/digitales-deutschland/kompetenz-als-ziel-ermutigung -als-weg/

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