Ethik und Medienkompetenz in mediatisierten Gesellschaften.
Zur Notwendigkeit einer subjekt-, medien- und gesellschaftsbezogenen kritisch-reflexiven Fähigkeit

Laura Sūna (Universität Siegen)

Veröffentlicht am 29.09.2023

Die steigende Komplexität digitaler Medien erfordert neben Bedienfertigkeiten ebenfalls eine kritisch-reflexive und ethische Bewertung sowie Einordnung der Wechselwirkung zwischen Medientechnologien und Menschen. Der Beitrag nimmt Studien und Kompetenzmodelle in den Fokus und analysiert, welchen Stellenwert Aspekte der Ethik in diesen bereits aufweisen und verdeutlicht Forschungsbedarfe. Es wird argumentiert, dass in Zeiten des Medienwandels die medienpädagogische Arbeit sich mit der ethischen Reflexion des Medienumgangs auf drei Ebenen befassen muss: auf der Ebene des Subjekts, auf der Ebene der Medien sowie auf der Ebene der Gesellschaft. Zudem sollen neben Jugendlichen und Menschen in Ausbildung ebenfalls Menschen im Erwerbsalter und ältere Menschen in den Fokus der Medienethik gerückt werden.

Durch die aktuellen Entwicklungen im Bereich der sich immer weiter ausdifferenzierenden Technologien digitaler Medien und Systeme künstlicher Intelligenz (KI) sind Fragen der Ethik für das eigene Handeln im Sinne der sozialen Verantwortung und der Eigenverantwortung essenziell (Vogt, 2018, S. 139). Dabei ist es aus der Perspektive der Nutzer*innen wichtig, den Fokus auf das ethische Leben mit der Technologie zu legen (Trifuljesko & Ruckenstein, 2019, S. 3). Die ethische Frage beim Umgang mit KI-Systemen lautet nicht mehr, ob man KI nutzen möchte, sondern, was das für das individuelle Leben und das gesellschaftliche Zusammenleben bedeutet. Digitale Technologien können zwar beispielsweise Texte erstellen, übersetzen oder optimieren, aber sie können keine normativen Urteile im Sinne von Ethik fällen. Daher sind die Nutzer*innen, der Staat, die Gesellschaft und auch die Wirtschaftsunternehmen gefordert, sich mit Fragen der Ethik auseinanderzusetzen (Marci-Boehncke & Rath, 2020, S. 31).

Auch der Deutsche Ethikrat (2023, S. 5) betont, dass es für die ethische Bewertung der Entwicklungen und des Einsatzes notwendig ist, nicht nur die Technologien zu verstehen, sondern auch die Wechselwirkungen mit Personen, die sie verwenden oder von ihrer Anwendung betroffen sind. Dadurch, dass diese Technologien in nahezu allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens gegenwärtig sind, sind ethische Aspekte für einen souveränen Umgang mit digitalen Medien wichtiger denn je. Ethische Reflexionsfähigkeit erfordert eine Positionierung zu Werten in Wertegemeinschaften und betrifft Nutzende ebenso wie die Entwickler*innen dieser Technologien (Gapski, 2021, S. 10).

Zudem verändern sich durch den digitalen Wandel nicht nur die medienvermittelte Kommunikation, sondern auch die Medienbotschaften (Ganguin et al., 2020, S. 58-59). Dies betrifft auch den Wandel der Normen und Werte, wie das beispielsweise im Kontext von Hassrede oder Online-Mobbing sichtbar wird. So begegnen beispielsweise Jugendliche in ihrem alltäglichen Medienhandeln der Herausforderung, ihre eigenen Werte zu definieren und Risiken im Medienhandeln einzuschätzen. Somit müssen Einzelne ihre Wertorientierung nicht nur in der Peergroup sondern auch vermehrt in mediatisierten Umgebungen stets neu verhandeln (Kramer et al., 2023, S. 125).

Ziel dieser Fokus-Auswertung ist es, dem nachzugehen, inwiefern Ethikaspekte in Medienkompetenzmodellen und empirischen Studien zu Digital- und Medienkompetenz berücksichtigt werden. Zudem sollen mögliche Forschungslücken aufgezeigt und Anregungen für die medienpädagogische Arbeit formuliert werden. Grundlage der Fokus-Auswertung sind Publikationen zum Themenkomplex Ethik und Kompetenz, die in der Literaturdatenbank des Projektes Digitales Deutschland zugänglich sind.

Medien und Ethik in Kompetenzmodellen

In den meisten Medienkompetenzmodellen wird das Thema Ethik im Bereich der kritisch-reflexiven Fähigkeiten angesiedelt. Dabei geht es vorwiegend um eine ethische Bewertung und Einordnung des eigenen Medienhandelns. Baacke (1996) beschreibt Medienkritik in dreifacher Hinsicht: Analytisch sollten problematische gesellschaftliche und technologische Wandlungsprozesse angemessen erfasst werden können. Reflexiv sollte jeder Mensch in der Lage sein, das analytische Wissen auf sich selbst und sein Handeln anzuwenden. Abschließend sollte auf der ethischen Ebene analytisches Denken und der reflexive Rückbezug als sozial verantwortet abgestimmt und definiert werden (Baacke, 1996, S. 120). Zahlreiche Studien beziehen sich auf dieses Konzept, wie beispielsweise Studien von Krämer et al. (2017) oder Meister et al. (2017), die sich mit der Medienkompetenzförderung in der Berufsausbildung befassen.

Theunert (2009, S. 201) verortet das Thema Ethik ebenfalls im Bereich der Reflexion und Bewertung von Medien. Mit der Reflexionsdimension werden Fähigkeiten beschrieben, die Medien kritisch in sozialer und ethischer Verantwortung für sich selbst und andere betrachten und bewerten zu können. Die Spezifizierung dieser Dimension erfolgt auf drei Ebenen: (a) ethische Bewertung des eigenen Handelns mit Medien auf der Subjektebene, (b) ethische Bewertung auf der Ebene der Medien und (c) auf der Ebene der Gesellschaft. Laut Theunert (2009, S. 202) impliziert Selbstreflexion, dass zum Beispiel die ethisch-normativen Schwerpunkte der eigenen Mediennutzung reflektiert werden. Medienanalytische Reflexion erstreckt sich sowohl auf massenmediale Angebote als auch auf Selbstdarstellungen und Meinungsäußerungen in Social Media. Das auf soziale und gesellschaftliche Aspekte bezogene Durchdenken der Medienwelt impliziert neben Fragen der Wirkung von medialen Inhalten und Tätigkeiten zunehmend auch Fragen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, wie etwa den Umgang mit persönlichen Daten oder den Einsatz von KI-Technologien. Vogt (2018, S. 142) stellt drei Ebenen heraus, die an Theunerts Modell anschließen. Erstens, umfasst Medien-Ethik die individuelle Fähigkeit den sozial verantwortlichen Umgang mit Medien analysieren und moralisch einschätzen zu können und dabei auch die eigenen medialen Handlungsstrategien kritisch hinterfragen und unter ethischen Gesichtspunkten gestalten zu können. Mit der Kategorie der Medien-Kritik beschreibt Vogt zweitens die gesellschaftsbezogene Fähigkeit der Individuen, eine gesellschaftskritische Haltung zur Entwicklung, Produktion und Nutzung von Medien einnehmen und sich über deren Inhalte sowie deren Rezeption positionieren zu können. Drittens, umfasst die Medien-Kunde Kenntnisse über Geschichte, Institutionen, Interessenlagen von Stakeholdern, Produktionsprozessen von Medien und insbesondere über rechtliche Rahmenbedingungen (Vogt, 2018, S. 142). Hierbei werden Medien und Medieninhalte ethisch bewertet und eingeordnet. Nach dem Verständnis von Vogt baut die Dimension der Medienbewertung auf die Dimension des Medienwissens auf. Er führt somit eine Hierarchie in die Entwicklung von Medienkompetenz ein. Zunächst sei eine Wissensbasis über Medien notwendig, um im zweiten Schritt zur kritischen Bewertung fähig zu sein (Vogt, 2018, S. 140).

Aufenanger (2018, S. 600-601) beschreibt die Aspekte von Ethik in seinem Medienkompetenzmodell anhand der moralischen Dimension. Demnach müssten Medien auch unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet und bewertet werden, die sich auf allgemein geteilte Konventionen wie beispielsweise Menschenrechte stützen. Zudem betont Aufenanger, dass die moralische Dimension sich nicht nur auf Medieninhalte beziehen sollte, sondern auch auf Aspekte der Produktion von Medien (wie Umweltverträglichkeit), auf Aspekte ihrer sozialen Verträglichkeit sowie auf die Auswirkungen auf Kommunikation, Interaktion und Persönlichkeit (auf der Ebene der Gesellschaft und der Medien). Zudem sollte ein stärkerer Fokus auf die ethische Bewertung der individuellen Mediennutzung in Bezug auf Nachhaltigkeit gelegt werden. Studien wie die von Wahl et al. (2014, S. 245), die die moralische Dimension im Rahmen der außerschulischen Medienkompetenzarbeit von Medienpädagog*innen fokussieren, befassen sich eher mit der ethischen Bewertung von Medieninhalten. Das heißt, Aspekte der sozialen Verträglichkeit auf Ebene der Nutzer*innen stehen nicht im Fokus.

Im Unterschied zu Baacke und Theunert verortet Aufenanger (2018) die ethische Dimension im Bereich der sozialen Fähigkeiten: „Die Umsetzung der kognitiven und moralischen Dimension erfolgt im Raum des sozialen und politischen Handelns. Menschen sollen befähigt werden, ihre Rechte um Medien politisch zu vertreten und soziale Auswirkungen von Medien angemessen zu thematisieren.“ (Aufenanger, 2018, S. 601) Hieraus erschließt sich ebenfalls die gesellschaftspolitische Notwendigkeit der Stärkung der ethischen Medienkompetenzdimension, das heißt die Stärkung der Medienkompetenz über kognitive Aspekte hinaus (Aufenanger, 2018, S. 609). Dies geht mit dem Argument einher, dass für die immer komplexer werdende Digitalwelt ein Bündel an vielfältigen Fähigkeiten notwendig ist.

Somit ist es hilfreich, diese drei Ebenen des ethischen Umgangs mit Medien – die Dimension der Subjektebene, die Ebene der Medien und der Gesellschaft – verstärkt in den Fokus zu nehmen. In vielen Medienkompetenzmodellen werden diese Aspekte nicht systematisch bearbeitet und der Fokus liegt entweder auf der kritischen Bewertung der Medieninhalte oder der Bewertung des individuellen Medienhandelns. Gleichzeitig betont Theunert (2009, S. 203), dass die kritische Reflexion in allen Altersgruppen und Lebensphasen eine komplexe und entsprechend stark zu unterstützende Medienkompetenzdimension darstellt.

Medien und Ethik in empirischen Studien

Unterschiedliche Studien bearbeiten zwar ethische Reflexion und Bewertung des subjektiven Medienhandelns neben weiteren Kompetenzdimensionen, sie stellen jedoch nicht explizit den Fokus der Studien dar. Beispielsweise arbeitet das Kompetenzlabor (2016, S. 18) den Aspekt der normativ-ethischen Einstellung heraus, als die Bereitschaft, auf der Grundlage allgemein gültiger Normen sowie ethischer Werte selbstverantwortlich zu handeln. Als Beispiel nennen die Autor*innen, dass man sich im Internet und insbesondere in sozialen Netzwerkseiten respektvoll verhält und sich an die entsprechenden Regeln hält. Ähnlich verortet auch die Länderkonferenz MedienBildung (2015) die Aspekte des ethischen Handelns mit Medien im Kompetenzbereich ‚Mit Medien kommunizieren und kooperieren‘. Krämer et al. (2017, S. 27) beziehen die Gesellschaftsebene als prägend für das subjektive Medienhandeln ein. Die Ethik-Dimension der Medienkompetenz in der Berufsausbildung umfasst, beurteilen zu können, was gesellschaftlich akzeptiert und in den Medien angebracht ist und dem angepasst kommunikativ handeln zu können.

Des Weiteren wird ethische Bewertung und Einordnung beispielsweise in Bezug auf das Konzept der Privatheitskompetenz (Privacy Literacy) thematisiert. Dabei rückt das Reflektieren über den Umgang mit eigenen Informationen und Daten in den Fokus, insbesondere die Entscheidung über das, was preisgegeben und somit öffentlich wird. Ethische Kompetenz wird im Kontext der Privatheit als die Fähigkeit beschrieben, zu reflektieren, warum Daten als schützenswert einzustufen sind (Kneuer, 2022, S. 175). Schüller und Kolleg*innen (2019) plädieren dafür, ethische Kompetenz als eine Meta-Kompetenz anzusehen, da sich die Frage, was aus ethischer Perspektive korrekt ist, immer stellt. Sie betonen, dass ein ethischer Umgang mit Daten und Informationen insbesondere aufgrund der aktuellen Gesetzgebung (z. B. DSGVO) und aufgrund publik gemachter Verstöße (z. B. die problematische Datenweitergabe von Facebook in Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf) die öffentliche Diskussion beherrscht und somit die Bevölkerung entsprechende Ethik-Kompetenzen benötigt. Schließlich sei ethische Kompetenz erforderlich, wenn Daten frei kombiniert und für andere Zwecke als ihren ursprünglichen Erhebungszweck analysiert werden. Gerade weil die Erhebung, Nutzung, Verarbeitung und Analyse von Daten nicht kontextunabhängig, d. h. getrennt von deren Interpretation und Anwendung, erfolgen kann, müssten die Nutzer*innen unter Ethikaspekten dies kritisch bewerten (Schüller et al., 2019, S. 21; 23-24).

Die Länderkonferenz MedienBildung (2015, S. 7) hebt folgende Praktiken des ethischen Medienumgangs hervor:

  • Medienspezifische Kommunikationsmerkmale beachten und Normen verantwortungsvoller Kommunikation beherrschen und anwenden können.
  • Ergebnisorientiert sowie verantwortungsbewusst kommunizieren: Dies umfasst Kommunikationsregeln respektvoller Kommunikation, Netiquette sowie Chattiquette in sozialen Netzwerken usw.
  • Gefahren beim Umgang mit Daten und Cybermobbing erkennen können.
  • Grundlagen des Urheber- und Persönlichkeitsrechts kennen und entsprechend diesen mit Medien handeln.
  • Medieninhalte ethikkonform produzieren und präsentieren.
  • Mediengesellschaft verstehen und über diese reflektieren können.

Die aufgezählten Praktiken beziehen sich hauptsächlich auf individuelles Medienhandeln, nur der letzte Punkt thematisiert die breitere Gesellschaftsperspektive.

Förderbedarfe und -möglichkeiten im Bereich Medien und Ethik

Der Bereich der Medien und KI-Systeme wird von einer Reihe nationaler und internationaler Regularien sowie Selbstverpflichtungen von Unternehmen geprägt. Somit wird das Subjekt mit der ethischen Einschätzung und Bewertung der Interaktion und Wechselwirkung mit KI-Systemen nicht ganz alleine gelassen. Gleichzeitig können gerade kritisch-reflexive Fähigkeiten dem Subjekt Sicherheit im alltäglichen Umgang mit digitalen Medien und KI-Systemen geben. Wie empirische Studien zeigen, ist jedoch die medienpädagogische Förderung der Medienethik besonders herausfordernd. So zeigen Wahl et al. (2014, S. 245; 250), dass medienpädagogische Lehrkräfte die vergleichsweise meisten Probleme und Hindernisse bei der „Vermittlung medienethischer Aspekte“ haben. Wobei Medienkritik bei den befragten Medienpädagog*innen nicht vernachlässigt, sondern im Gegenteil eher mit Priorität bearbeitet wird. Die Studie von Meister und Kolleg*innen beschreibt ebenfalls die Herausforderungen der Erforschung und Förderung analytischer, reflexiver und ethischer Fähigkeiten bei Jugendlichen (Meister et al. 2017, S. 174). Wir plädieren an dieser Stelle für Methodeninnovationen, die eine Erforschung aber auch Förderung dieser eher abstrakten Fähigkeiten ermöglicht. Beispielsweise kann dabei die Methode der Positionierungsspiele (Brüggen et al., 2014) hilfreich sein, bei denen die Mediennutzer*innen in medienpädagogischen Settings sich offen über medienethische Aspekte austauschen und dafür sensibilisiert werden.

Insgesamt wird deutlich, wie Kramer und Kolleg*innen (2023) in Rahmen ihrer Metaanalyse von Studien zu Ethik und Medienpädagogik konstatieren, dass in Deutschland medienpädagogische Studien zu ethischen Fragestellungen rar sind. Auch in den wenigen Studien zu Medienkritik werden Ethikaspekte als eines unter vielen berücksichtigt (vgl. Ganguin, 2004). Somit sollten weitere Studien und medienpädagogische Arbeit realisiert werden, die insbesondere alle drei von Baacke, Theunert, Aufenanger und Vogt herausgearbeiteten Ebenen ethischer Bewertung – die subjektive, die gesellschaftliche und die medienbezogene – berücksichtigen. Die bisherigen Studien adressieren zumeist nur eine dieser Ebenen, vorwiegend die subjektbezogene Ebene, auch wenn die zwei anderen ebenfalls bedeutsam für einen souveränen Umgang mit digitalen Medien und KI-Systemen sind. So plädieren beispielsweise Marci-Boehncke und Rath (2020) für die Stärkung der Technikfolgenabschätzungsethik. Diese kann die Herausforderungen und Konflikte auf einer gesellschaftlichen Ebene antizipieren. Zum ethischen Handeln mit KI-Systemen auf einer medien- und gesellschaftsbezogenen Ebene tragen ebenfalls die Einschätzung und mögliche Vermeidung von Diskriminierung durch digitale Medien und insbesondere KI-Systeme bei. Datenbasierte KI-Systeme verinnerlichen Stereotype, die bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten reproduzieren. Durch kritische und ethische Bewertung und das Hinterfragen der Medieninhalte kann Diskriminierung vermieden bzw. Menschen dafür sensibilisiert werden (Deutscher Ethikrat, 2023, S. 67-68). Hier kann medienpädagogische Forschung an die vorwiegend kommunikationswissenschaftlichen Studien zur Bewertung von Fairness der KI und Vertrauen in KI der Bevölkerung anschließen (Marcinkowski & Starke, 2019). Gleichzeitig ist es bedeutsam, die jeweilige Medienspezifik für die ethische Bewertung zu reflektieren. Es gilt, sich mit den jeweils gegebenen Medienumgebungen spezifisch auseinanderzusetzen, da kommunikative Handlungsräume erst in konkreten Medienumgebungen auf ihre Strukturierung hin untersucht werden können (Ganguin et al., 2020, S. 63).

Darüber hinaus betont der Deutsche Ethikrat (2023, S. 69) die Notwendigkeit einer ethischen Einschätzung seitens der Individuen, inwiefern KI-Systeme eine Erweiterung oder eine Verminderung menschlicher Handlungsmöglichkeit darstellen. Entsprechend dieser Bewertung ist es möglich, kompetentes Handeln mit KI-Systemen zu entwickeln. In zahlreichen Beispielen aus den Bereichen der Medizin, der schulischen Bildung, der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung sowie der öffentlichen Verwaltung konnte aufgezeigt werden, dass das Delegieren von Aufgaben an KI-Systeme sowohl mit Erweiterungen als auch mit Verminderungen menschlicher Handlungsmöglichkeiten einhergeht und sich dadurch sowohl förderlich als auch hinderlich auf die Realisierung menschlicher Autorschaft auswirken kann. Diethelm (2021, S. 8) betont in ihrer Expertise „Künstliche Intelligenz und Informatik“ ebenfalls die Notwendigkeit der Entwicklung einer Gesellschaftsperspektive auf KI-Technologien. Sie plädiert für ethische Fähigkeiten, die es dem Subjekt ermöglichen, KI-Systeme auf der Basis von Hintergrundwissen aus verschiedenen Bezugsdisziplinen wie der Informatik, der Mathematik oder der Philosophie aus technologischer, anwendungsbezogener und gesellschaftlich-kultureller Perspektive in Bezug auf Verantwortung, Sicherheit, Verlässlichkeit, Gerechtigkeit und Auswirkungen zu reflektieren und zu beurteilen (Diethelm, 2021, S. 8).

Insgesamt fällt auf, dass die Zielgruppen bisheriger medienpädagogischer Studien, die sich mit Ethikaspekten im Kontext von Medien befassen, meistens Jugendliche, Menschen in der Ausbildung oder Menschen in Bildungsberufen sind. Menschen im Erwerbsalter und Menschen in höherem Lebensalter werden seltener adressiert. Das Projekt Digitales Deutschland (Berg et al., 2023) plädiert jedoch für eine altersdifferenzierte und lebensphasenübergreifende Perspektive, die auch im Bereich Ethik und Medien hilfreich sein kann. So ist die Förderung einer „ethischen Mentalität“ aller Interessenträger*innen notwendig (Gapski, 2021, S. 10). Diese umfasst Menschen, die in der Produktfertigung beteiligt sind (Designer*innen und Entwickler*innen), die Nutzer*innen (Unternehmen oder Einzelpersonen) und weitere betroffene Gruppen (Personen, die kein KI-System erwerben oder verwenden, die jedoch von den Entscheidungen eines KI- Systems betroffen sind). Aufenanger (2018, S. 607) betont zudem die Notwendigkeit, die drei Ebenen der ethischen Reflexion (subjektbezogen, medienbezogen und gesellschaftsbezogen) explizit in den unterschiedlichen Lebensbereichen der Arbeit, Freizeit, Teilhabe sowie Ausbildung empirisch und auch in der medienpädagogischen Arbeit zu adressieren. So können medienethische Fähigkeiten realitätsnah thematisiert und angeeignet werden.

Fokus-Auswertung zum Download

Literatur

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Die Autorin

Dr. Laura Sūna ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind digitale Medien und KI-bezogene Kompetenzen, migrantische Medienaneignung, Imaginationen und Mediendiskurse über Künstliche Intelligenz, Vergemeinschaftungen, Emotionen und Affekte sowie Jugendkulturen.

Zitation

Sūna, L. 2023: Ethik und Medienkompetenz in mediatisierten Gesellschaften. Zur Notwendigkeit einer subjekt-, medien- und gesellschaftsbezogenen kritisch-reflexiven Fähigkeit. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/fokus-auswertung-zu-ethik-und-medienkompetenz.